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Beteiligung besser umsetzen! Training und Austausch für deutsche URBACT-Netzwerkstädte in Chemnitz

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21 November 2019
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Nationale URBACT Informationsstelle organisiert nationalen Workshop für deutsche Partnerstädte in Chemnitz

Ehrenamtliches Engagement in schrumpfenden Städten stärken, Akademikern aus dem Ausland das Ankommen und Bleiben in der Stadt erleichtern, mit Hilfe der Digitalisierung energieeffiziente Stadtquartiere schaffen, Altbauviertel aufwerten: Das sind nur einige der Themen, mit denen sich deutsche Städte bei URBACT beschäftigen. Trotz dieser Bandbreite sind die Herausforderungen, denen die Netzwerkpartner bei URBACT gegenüberstehen, oft recht ähnlich: Neben „klassischen Anforderungen“ wie einem gelungenen Projekt- und Finanzmanagement müssen die Kommunen zum Beispiel jeweils vor Ort eine Arbeitsgruppe etablieren, um die für ihr Thema relevanten städtischen Akteure mit ins Boot zu holen und an der Erarbeitung ihres Konzeptes zu beteiligen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist es, den Dezernenten, den Stadtrat, den Bürgermeister von der Relevanz des eigenen Vorhabens und den Vorteilen der europäischen Zusammenarbeit zu überzeugen. Die Nationale URBACT-Informationsstelle für Deutschland und Österreich (NUP) hat deshalb am 6./7. November 2019 in Chemnitz einen zweitägigen Workshop für die deutschen URBACT-Partner organisiert. Ziel war es zum einen, dass sich die Städte besser kennenlernen und auf nationaler Ebene untereinander austauschen. Gleichzeitig wurden zwei Trainings zum Thema Partizipation angeboten. Experten erarbeiteten mit den Städten Lösungen, wie sie Politiker erreichen und schwierige bzw. Randgruppen besser einbinden können. Das URBACT-Programm hat Veranstaltungen zum nationalen Austausch („URBACT Campus“) im Mai 2019 erstmals in verschiedenen Ländern umgesetzt. Die deutsche Veranstaltung fand in Magdeburg statt. Aufgrund der Nachfrage und der freundlichen Einladung der Stadt Chemnitz folgte nun die zweite Auflage des Formats.

Von den zwölf URBACT-Netzwerken mit deutscher Beteiligung waren acht Städte beim Workshop vertreten, darunter drei vom Typ „Aktionsplanungsnetzwerk“ (Dinslaken, München, Landesentwicklungsgesellschaft Sachsen-Anhalt), die erst im Frühjahr mit ihrer Arbeit gestartet sind, und fünf Partner aus „Transfernetzwerken“ (Chemnitz, Gelsenkirchen, Hamburg-Altona, Altena, letztere ist in zwei Netzwerken aktiv), die mittlerweile schon fast die Hälfte der Projektlaufzeit hinter sich haben. Auf die Begrüßung durch den Chemnitzer Baubürgermeister Michael Stötzer und eine Kennenlernrunde folgte der erste praktische Teil: Der URBACT-Experte Nils Scheffler erarbeitete mit den Teilnehmern Lösungsansätze, wie man Politiker und Entscheidungsträger besser einbinden und langfristig deren Rückhalt für ein Vorhaben gewinnen kann. Gründe für eine politische Einbindung sind meist die demokratische Legitimierung von Ergebnissen, Strategien und Maßnahmen oder auch, weil man das Interesse an einem Vorhaben wecken und politische Unterstützung (Leadership) gewinnen möchte. Von Bedeutung ist es zudem, eine Abstimmung zwischen Verwaltung und Politik zu schaffen und Öffentlichkeit für ein Thema zu erzeugen. Als mögliche Probleme bei der Einbindung politischer Vertreter nannten die Teilnehmer fehlendes Interesse am Thema, die eingeschränkten Zeitressourcen vor allem ehrenamtlicher Politiker sowie die Tatsache, dass durch Parteienkonkurrenz inhaltliche Auseinandersetzungen oft in den Hintergrund rückten. Zudem könne es vorkommen, dass Ausschüsse Beschlüsse fassen, die nicht mit den Strategien übereinstimmen, die die Verwaltung festgelegt hat.

Politiker und Entscheidungsträger besser einbinden

Gemeinsam erarbeiteten die anwesenden Städte mit Nils Scheffler Lösungsansätze. Den genannten Herausforderungen können städtische Mitarbeiter entgegenwirken, indem sie z. B. die Möglichkeiten des Themas mit wichtigen städtischen Zielen verknüpfen und Verbindungen zu aktuellen Themen der Stadtpolitik aufzeigen. Auch vorbereitete Zahlen, Fakten und Argumente sowie eine kontinuierliche positive Berichterstattung zu Lösungsansätzen untermauern das eigene Anliegen. Im persönlichen Umgang mit den Gremien ist es entscheidend, ansprechende Formate und ein einladendes Ambiente zu schaffen, den persönlichen Nutzen der Teilnahme hervorzuheben und eine kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit zu verfolgen.

Anschließend informierte die Nationale URBACT Informationsstelle (angesiedelt beim Deutschen Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung - DV) über die Möglichkeiten für Städte, sich in Prozesse der nationalen und europäischen Stadtentwicklungspolitik einzubringen. So z. B. in die Erarbeitung der Leipzig-Charta, für deren Erneuerung im Jahr der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 der DV gemeinsam mit der BTU Cottbus-Senftenberg und dem European Urban Knowledge Network im Auftrag des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat einen nationalen und europäischen Dialogprozess umsetzt. Wie setzen andere Städte in Deutschland Mittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) für Stadtentwicklung ein? Austausch und Unterstützung zu diesem Thema bietet das Deutsch-Österreichische URBAN-Netzwerk, das der DV koordiniert. Neben Kommunen nehmen Landesbehörden, der Bund und Vertreter der EU-Kommission regelmäßig an den Sitzungen des Netzwerkes teil.

Exkursion durch Chemnitz: Spinnereimaschinengebäude und Sonnenberg

Am Nachmittag des ersten Tages lud die Gastgeberstadt Chemnitz, selbst aktuell Lead Partner im Transfernetzwerk „ALT/BAU“ zur Exkursion ein. Zunächst konnten die Teilnehmer den Spinnereimaschinenbau am Gewerbestandort Altchemnitz besichtigen. Für den Komplex hatte Chemnitz im Rahmen des bereits 2018 abgeschlossenen URBACT Aktionsplanungs-Netzwerkes „2nd Chance – Waking up the Sleeping Giants“ eine Aktivierungsstrategie und Konzepte für eine bessere Einbindung in die Gesamtstadt erarbeitet. Schwerpunkt der Partner dieses Netzwerkes war die Revitalisierung von großen innerstädtischen Brachflächen und leerstehenden Gebäuden. Thomas Mehlhorn, der das Projekt damals von Seiten der Stadt Chemnitz koordiniert hatte, erzählte, dass das Gebäude, initiiert durch URBACT, heute Teil der Chemnitzer Industriekultur-Route ist. Anhand von sechs QR-Code-Tafeln, die eine Historikerin mit geschichtlichen Fakten hinterlegt hat, können Besucher hier mit ihrem Smart Phone Industriegeschichte hautnah erleben. Zudem erhielt die Zusammenarbeit zwischen Stadt und dem privaten Eigentümer des Spinnereimaschinenbaus durch URBACT neue Impulse. Anschließend hatten die Teilnehmer in den Räumlichkeiten des Gebäudes die Möglichkeit, sich zu Problemen des Projekt- und Finanzmanagements auszutauschen, wobei die „älteren“ Projektpartner von ihren Erfahrungen berichteten und die „Neuen“ Fragen stellen konnten.

Danach folgte die Besichtigung des Gründerzeitviertels Sonnenberg, das durch hohen Leerstand geprägt ist. Im Rahmen des aktuellen URBACT-Projektes ALT/BAU gibt die Agentur StadtWohnen Chemnitz (Lead Partner) ihre Ansätze zur Wiederbelebung dieser stadtbildprägenden Gebäude an die anderen Partner im Netzwerk weiter. Das Konzept der Agentur StadtWohnen ist dabei ihre Rolle als Vermittler zwischen Eigentümern, potentiellen Investoren oder Mietern und der Stadt. Damit konnte bereits für 50 Gebäude ein neuer Besitzer gefunden werden, 40 stehen aktuell für Investitionen zur Verfügung. Die Exkursion führte die Teilnehmer in die „Villa Rossa“, einen Altbau, den zwei Architekten erworben haben und der sich aktuell in der Sanierung befindet. Anschließend wurde ein zweites Gebäude besichtigt, in dem, sobald die Renovierungen abgeschlossen sind, eine mehrere Stockwerte hohe Aquaponik-Anlage etabliert werden soll. Dabei wird die Aufzucht von Fischen in Aquakultur mit der Kultivierung von Nutzpflanzen verbunden: Die Exkremente der Fische dienen in diesem geschlossenen System als Nährstoffe für die Pflanzen. Das Betreiben der Anlage wird verbunden mit sozialen Projekten für benachteiligte Kinder und Jugendliche.

Beteiligung von schwer erreichbaren Gruppen

Am zweiten Tag folgte der zweite interaktive Teil zum Thema Partizipation: Julia Fielitz von der Agentur Zebralog gab einen Workshop zur Beteiligung und Aktivierung von schwer erreichbaren Zielgruppen. Dabei stellte sie zunächst vor, was schwer erreichbare Zielgruppen sind und welche Gründe sie dafür haben, sich nicht einzubringen. Diese Gruppe ist nämlich sehr heterogen: Neben Migrantinnen und Migranten, Jugendlichen oder bildungsfernen Schichten zählen dazu auch Personen, an die man im ersten Moment nicht denken würde: Etwa berufstätige Mütter und Väter, die aufgrund der familiären Situation wenig Zeit haben, oder gut vernetzte Entscheidungsträger, die relevante Informationen durch ihre guten Kontakte erhalten und deshalb nicht zu Informationsveranstaltungen kommen. Gründe, warum sich Menschen nicht einbringen, sind etwa die Scheu, vor Gruppen zu sprechen, dass die Termine zu Zeiten liegen, an denen sie keine Zeit haben, oder sie sich nicht für das Thema interessieren. Gerade für Menschen mit Behinderung können auch die Wahl von (nicht barrierefreien) Räumlichkeiten etc. Hürden darstellen. Wichtig sei es deshalb, eine gute Atmosphäre zu schaffen, den Dialog auf Augenhöhe zu führen und zielgruppenspezifische Anreize zu geben. Anschließend stellte Fielitz verschiedene Möglichkeiten der Beteiligung vor, etwa die Zufallsauswahl, die aufsuchende Beteiligung, bei der Haustürgespräche geführt werden, oder die Aktivierung von Bürgern, zum Beispiel bei Straßenfesten. Gerade bei Jugendlichen sei es wichtig, sich genau auf die Altersgruppe einzustellen, deren persönliche Netzwerke zu aktivieren (z. B. Fußballverein) und den jungen Leuten auch die Möglichkeit zu geben, Freunde mitzubringen.

Im Anschluss daran hatten die Teilnehmer die Möglichkeit, in Gruppenarbeit eine stellvertretende Person ihrer schwer erreichbaren Zielgruppe zu „erfinden“ und dieser Charaktereigenschaften, familiäres Umfeld, Hobbies etc. zuzuschreiben um dann gemeinsam zu überlegen, mit welchen Methoden und Anreizen diese Person zur Beteiligung motiviert werden könnte. Damit konnten die Städtevertreter ihren Blick schärfen für die Notwendigkeit, Beteiligungsformate möglichst passgenau an der jeweiligen Zielgruppe auszurichten.

Die deutschen URBACT-Städte zeigten sich sehr zufrieden mit der Veranstaltung, wünschten sich zum Teil allerdings noch mehr Unterstützung bei der Aufstellung ihrer lokalen Arbeitsgruppen (URBACT Local Group – ULG). Auch der Austausch mit nationalen Kollegen wurde als gewinnbringend gewertet, wobei an einigen Stellen deutlich wurde, dass sich Herausforderungen durchaus unterscheiden, vor allem zwischen großen und kleinen Städten, wo die Strukturen zum Teil sehr verschieden sind. Ein weiterer nationaler Austausch ist aufgrund des Interesses für das Jahr 2020 vorgemerkt.

Deutsche Städte, die aktuell an URBACT beteiligt sind:

Transfer-Netzwerke:

Aktionsplanungs-Netzwerke:

(Da diese Netzwerke erst vor kurzem gestartet sind, haben sie noch keine eigenen Webseiten. Weitere Informationen finden Sie vorerst hier.)

  • Active Citizens: Dinslaken (Partner)
  • GenderedLandscape: Frankfurt am Main, Frauenreferat (Partner)
  • IoTXchange: Sachsen-Anhaltinische Landesentwicklungsgesellschaft – SALEG (Partner)
  • Space4People: Bielefeld (Lead Partner)
  • URGE: München (Partner)
  • ZCC: Frankfurt am Main, Energiereferat (Partner)