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Wir müssen über intelligente Spezialisierung reden!

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09 October 2017
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Innovation hat in der Kohäsionspolitik einen weiten Weg zurückgelegt: Von vier Piloten im Jahr 1994 hin zu einer ex-ante Bedingung in den EU-Verordnungen der Periode 2014-2020. Die Innovation hat sich somit von den „wilden“ Randbezirken in das Zentrum der Politik vorgearbeitet. In der aktuellen Förderperiode stehen schätzungsweise mehr als 85 Milliarden Euro für Innovation bereit. Von Peter Ramsden.

Im Regelwerk zur intelligenten Spezialisierung („Smart Specialisation“) steht: „Eine ‚Strategie zur intelligenten Spezialisierung‘ ist eine nationale oder regionale Innovations-Strategie. Sie setzt Prioritäten um einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen, indem sie eigene Stärken in Forschung und Innovation herausarbeitet und an Geschäftsbedürfnisse anpasst. So sollen neue Möglichkeiten und Marktentwicklungen in einer angemessenen Art und Weise genutzt werden. Gleichzeitig wird so eine Verdoppelung und Fragmentierung von Bemühungen vermieden (…). Strategien zur intelligenten Spezialisierung sollen unter Mitwirkung von nationalen und regionalen Behörden entwickelt werden. Auch Stakeholder wie Universitäten und Hochschulen, die Industrie und soziale Partner sollen in den unternehmerischen Entdeckungs-Prozess einbezogen werden.“

Es ist offensichtlich, dass Städte, und insbesondere Metropolregionen, im öffentlichen Bereich die Triebkräfte für die intelligente Spezialisierung sind. Städte sind der Motor der europäischen Wirtschaft und verantwortlich für zwei Drittel des Bruttosozialprodukts. Zudem befinden sich die meisten Forschungszentren und Universitäten genauso wie die große Mehrheit der nicht-landwirtschaftlichen kleinen und mittleren Unternehmen in städtischen Gebieten. In den Städten werden die meisten Investitionen in Gründerzentren, Ausgründungen („spin-outs“) und Start-ups gemacht. Städte haben das größte Potenzial, um die Möglichkeiten auszuschöpfen, die Strategien der intelligenten Spezialisierung und die Strukturfondsförderung bieten. Aber die Verwaltung der Ballungsräume ist nach wie vor uneinheitlich innerhalb der EU geregelt und das Sprichwort „Wirtschaft aus dem 21. Jahrhundert, Verwaltung aus dem 20. Jahrhundert, Grenzen aus dem 19. Jahrhundert“ trifft immer noch für viele Städte zu.

„Nicht-fraktale“ Regionen und Städte

Wenn Regionen fraktal wären (fraktal ist ein mathematischer Mengenbegriff und bezeichnet ein sich wiederholendes Muster das in jeder Skala angezeigt wird), wäre es möglich, in der städtischen Hierarchie nach unten zu gehen und auf jeder Ebene das gleiche Verhältnis von Sektoren, Schlüsseltechnologien und ähnlichen Partnern vorzufinden.

Dennoch – Städte sind nicht nur eine fraktale Reflektion ihrer Regionen. Jede Stadt hat ihre eigenen Besonderheiten, die im Einklang oder eben nicht im Einklang mit denen auf regionaler Ebene stehen. Das stimmt sowohl für kleine als auch für große Regionen und Städte. Es bedeutet, dass in der Praxis einige der Cluster, die auf regionaler Ebene identifiziert wurden, für die jeweilige Stadt nicht relevant sind. Andere lokale Cluster, die eine Schlüsselrolle bei der städtischen Wirtschaft spielen, sind nicht relevant auf regionaler Ebene. Diese Unstimmigkeit beeinträchtigt die Wirtschaft der Stadt, weil sie die Fördermöglichkeiten aus den Strukturfonds einschränkt, die sich auf Cluster konzentrieren. Diese Städte brauchen die meiste Unterstützung durch die Kohäsionspolitik, um ihre lokale Wirtschaft an einen neuen Ort zu verlagern.

Alfred Marshall war einer der ersten Ökonomen, der 1919 über industrielle Stadtbezirke schrieb. Er betonte die kooperativen Aspekte zwischen den Unternehmen in diesen Vierteln, die aufeinander angewiesen waren. Er zeigte, wie die Stadt sowohl mit der spezialisierten Arbeitsteilung  zwischen den Firmen arbeitete, als auch mit einer unterstützenden Infrastruktur. Er charakterisierte es als Fabrik ohne Mauern für die Produktion verschiedener Güter wie z. B. ein Messer, das in Sheffield hergestellt wurde und durch zahlreiche benachbarte Unternehmen lief, bevor es eingepackt und verkauft wurde. In modernen Wirtschaftssystemen haben sich die Beziehungen verändert, obwohl es wahrscheinlich scheint, dass eine nahe Verwandtschaft oder Nähe noch immer ein Leistungsmerkmal in unternehmerischen Ökosystemen ist. Wenn wir die europäische Start-up-Szene evaluieren, zeigt sich, dass es oft eine spezielle Nachbarschaft in wenigen Städten ist, die relevant für Schlüsseltypen der Start-ups sind, wie solche aus den Bereichen Technologie und Programmierung. Es wurden bislang wenige Forschungsergebnisse zu den Mikro-Geographien dieser Cluster veröffentlicht, aber es ist eine begründete Annahme, dass Nähe und soziale Netzwerke eine Rolle in ihrer Entstehungsgeschichte spielen.

Auch andere Kräfte haben einen Einfluss. Wenn alte Geschäftszweige bestimmte Teile der Stadt verlassen, ergeben sich oft neue Möglichkeiten für junge Kreative. Wo Kreative sind, dorthin folgen auch Programmierer und andere Start-ups. Oft profitieren sie von den Ecken und Kanten dieser Übergangsbereiche. Dennoch, mit der Zeit steigen die Grundstückswerte, die Gentrifizierung beginnt, die Unternehmen zu verdrängen. Der Aufstieg dieser Areale geschieht normalerweise außerhalb oder trotz des Planungssystems. Einmal etabliert, unternimmt die Planung selten genug, um sie zu schützen.

Aber EU-Innovation konzentriert sich hauptsächlich am „höheren Ende“ der städtischen Hierarchie und in der „blauen Banane“, die sich von London, Manchester und Birmingham bis nach Mailand und Turin in Italien zieht. Das trifft vor allem auf Forschungsprojekte zu, die unter der jeweiligen Generation der EU-Rahmenprogramme laufen. Trotz zwei Jahrzehnten Kohäsionspolitik ist es nach wie vor schwierig, eine florierende Innovationskultur außerhalb der „Banane“ aufzubauen, insbesondere in kleineren und dünn besiedelten Räumen.

Dreifach- und Vierfachhelix als Erfolgskonzept für Städte

Schlüsselelement einer erfolgreichen Innovationspolitik für Städte und Regionen ist das Konzept der Dreifachhelix (Zusammenwirken von Wirtschaft, Wissenschaft, Stadtverwaltung/Politik) und der Vierfachhelix.  Erfolgreiche „Triple-Helix“-Städte haben eine dichte Interaktion zwischen kleinen und mittelgroßen Unternehmen und den Forschungs-Infrastrukturen der Umgebung. Diese werden unterstützt von der öffentlichen Hand, oft durch das Etablieren von wirtschaftlich kalkulierten Entwicklungs-Agenturen wie Brainport in Eindhoven, dem Lead Partner des URBACT-Netzwerkes CHANGE!. Das Prinzip der Vierfachhelix geht noch einen Schritt weiter, indem auch Akteure der Zivilgesellschaft in den Entwicklungsprozess neuer Produkte einbezogen werden. Das ist genauso wichtig für das Testen der neuen Produkte wie auch für die Koproduktion, den gemeinsamen Entwurf und die gemeinsame Ausgestaltung neuer Dienstleistungen.  Hier gibt es eine große Schnittmenge mit der „Living-Labs“-Bewegung, die sich Städten und ihren Gemeinden als Testgebiet für neue Entwicklungen anbieten. URBACT hat intensiv an Herausforderungen der Unternehmensforschung gearbeitet. So z. B. die Netzwerke REDIS, koordiniert von der Stadt Magdeburg, und eUniversities, geleitet von der Stadt Delft. Gute Beispiele von Dreifachhelix-Konzepten wurden auch in der kürzlich erschienenen Veröffentlichung „URBACT: Veröffentlichung zu neuen Wirtschaftszweigen“ hervorgehoben, in der vor allem die Städte Eindhoven, Dublin und San Sebastián im Vordergrund stehen.

 

Intelligente Spezialisierung, Städte und URBACT

Trotz des Potenzials, das die Prioritäten zur intelligenten Spezialisierung in den neuen Strukturfondsprogrammen anbieten, zeigen einige anekdotische Beweise aus den zehn Städten des URBACT-Netzwerkes In Focus, dass Städte bislang oft aus den Diskussionen ausgeschlossen worden sind. Dies verschärft das Risiko einer Unstimmigkeit zwischen Regionalstrategien und dem, was in den Städten passiert. Der Prozess der „unternehmerischen Entdeckung“, der eigentlich dazu gedacht ist, über neue Sektoren und Technologien zu informieren und sie in die Diskussion einzubringen, war oft oberflächlich und bezog die städtischen Akteure nicht ausreichend mit ein, so Miguel Rivas, Lead Experte des Netzwerks. Das Ergebnis ist, dass zu viele der Strategien zur intelligenten Spezialisierung im Regal verstauben. Es ist notwendig, dass die Städte ihnen Leben einhauchen.

InFocus beschäftigt sich genau mit diesen Fragen: Wie können Städte von „Smart Specialisation“-Strategien profitieren oder sie zunächst einmal anstoßen? Wie mit Clustern, Unternehmertum, neuen Räumen und dem Aufbau von Marken und Attraktivität umgehen? Zu dem Netzwerk zählen High-Tech Städte wie Bilbao, Porto, Bordeaux, Grenoble, Turin und Frankfurt am Main. Jede Stadt hat viele Cluster-Möglichkeiten zur Auswahl, angefangen von Finanzdienstleistungen in Frankfurt bis hin zur Optoelektronik in Bordeaux. Zum Netzwerk zählen aber auch Städte aus Regionen, die sich zwar mit Innovation beschäftigen, aber nicht so viel Eigenkapital haben oder die sich in Regionen mit einem niedrigen Entwicklungsfaktor befinden, wie Plasencia in Extrema Dura, Bielsko Biala in Polen und ein Stadtteil von Bukarest.

Zusätzlich geht das URBACT-Netzwerk SMARTImpact unter der Leitung von Manchester der Frage nach, wie smarte Bezirke im Rahmen der aufkeimenden Marke „Smart City“ entwickelt werden können. Oft sind diese Stadtteile der Ort für neue Arten der Zusammenarbeit zwischen Forschung und Industrie und dienen als Testumgebung für neue Produkte und Dienstleistungen.

Städte in ganz Europa können lernen, sich besser mit dem Prozess der intelligenten Spezialisierung zu beschäftigen. Sogar wenn sie es verpasst haben, ein Konzept dazu zu erarbeiten, gibt es genug Möglichkeiten, die nächste Strategien-Generation zu beeinflussen. Am wichtigsten ist, die Prozesse und Möglichkeiten, die diese Strategien beinhalten, zu erkennen und zu verstehen. Alle Städte sollten die Strategie zur intelligenten Spezialisierung ihrer Region lesen, ebenso wie die operationellen Programme, sich in Kontakt mit den Verwaltungsbehörden setzen und lokale Pläne entwickeln, um Innovationsprojekte voranzubringen.  URBACT wird Handbücher für Städte veröffentlichen, in denen erklärt wird, wie sie beides sein können: smart UND spezialisierter, um die Debatten anzufachen und Fachwissen auszubilden.

Autor: Peter Ramsden

Anmerkung: Dieser Artikel basiert auf der Baseline-Studie des URBACT-Experten Miguel Rivas für das von Bilbao koordinierte In Focus-Netzwerk. Die Studie wird in Kürze veröffentlicht. Alle Kommentare im Text sind die des Autors.

Dies ist eine Übersetzung. Zum englischen Original-Artikel von Peter Ramsden.

Bildnachweis:

Fraktal / Mandelbrot set © Wikipedia
Die Blaue Banane in Europa © Reclus 1989