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URBACT Netzwerke und der sozial gerechte und nachhaltige Wandel

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28 March 2022
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Bezahlbare grüne Energie und Mobilität, Unterstützung für kleine bis mittelgroße Unternehmen und Innovationen. Unsere URBACT-Städte setzen sich für das Klima und soziale Gerechtigkeit ein.

In der gesamten Europäischen Union sind URBACT-Städte Vorreiterinnen bei der Gestaltung der „Just Transition“, indem sie sich für einen grünen Wandel einsetzen und ihre Bürger:innen an diesem Prozess beteiligen. Auch die URBACT-Stadt München zeigt mit dem Projekt URGE, wie ein nachhaltiger und sozial gerechter Wandel gelingen kann, nämlich im Bausektor.  Auf der alten Bayernkaserne in München entsteht ein neues Stadtviertel, das weitgehend aus recycelten Materialien errichtet wird. Der URBACT-Programmexperte Eddy Adams untersucht im Folgenden, wie URBACT Städten hilft, neue, sektorübergreifende Maßnahmen zu erproben, die gut für Mensch und Umwelt sind.

Was bedeutet „Just Transition“?

„Alarmstufe Rot für die Menschheit“ – mit diesen Worten beschrieb der UN-Generalsekretär Antonio Guterres im August 2021 den neuen Bericht des UN-Gremiums für Klimabewertung IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change). Der einzige Weg, den international vereinbarten Schwellenwert von eineinhalb Grad Celsius globaler Erwärmung nicht zu überschreiten bestehe darin, unsere Anstrengungen dringend zu verstärken und ambitionierten Klimaschutz zu betreiben.

Städte spielen hierbei eine zentrale Rolle: Mit einem Verbrauch von 78 Prozent der weltweiten Energie verursachen sie über 60 Prozent der Treibhausgasemissionen und sind damit ein wesentlicher Teil des Problems. Gleichzeitig können sie jedoch der Schlüssel zur Lösung sein.

Der im Jahr 2020 von der Europäischen Kommission gestartete Mechanismus für einen gerechten Übergang“ ist Teil des Europäischen Green Deals, der bis 2030 die Kohlenstoffemissionen um 55 Prozent reduzieren soll, um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Ganz Europa und alle Industriesektoren sind hier gefordert, sich anzupassen. Einige Regionen stehen jedoch vor besonderen Herausforderungen, beispielsweise Bergbaugebiete. Der „Mechanismus für einen gerechten Übergang“ hat einen fairen,gerechten und grünen Wandel zum Ziel und unterstützt Arbeitnehmer:nnen und Bürger:innen in den Gebieten, die von diesen strukturellen Veränderungen am stärksten betroffen sind. Im Zeitraum von 2021 bis 2027 werden dafür rund 100 Millionen Euro mobilisiert.

In Städten gibt es die größten sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten. Welche Schritte können städtische Praktiker:innen im Zuge des Wandels in Europa unternehmen, um sicherzustellen, dass der Weg zur Klimaneutralität die schwächsten Bürger:innen nicht am härtesten trifft? Dabei spielen der Verlust von Arbeitsplätzen, schrumpfende Industrien oder steigende Stromrechnungen eine entscheidende Rolle. Wie können wir Klimagerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit in Einklang bringen, um den Weg für eine „Just Transition“ zu ebnen?

Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des neuen Programms URBACT IV, das sich verstärkt auf den Aufbau von Strukturen und Kompetenzen und bürgerschaftliches Engagement in Städten als Motor eines gerechten, grünen Wandels konzentriert. Das Programm basiert auf den Erfahrungen, die in den letzten 15 Jahren mit URBACT zur Förderung einer integrierten, nachhaltigen Stadtentwicklung gesammelt wurden. Im Folgenden stellen wir einige aktuelle Beispiele vor.

Grüne Energie

Die URBACT-Netzwerke Zero Carbon Cities und Urb-En Pact konzentrieren sich beide auf die Themen Energieeffizienz und Energieerzeugung. Zu den Instrumenten zur Senkung der Treibhausgasemissionen gehören Kohlenstoffbudgets und lokale Energiepakte.

Das Projekt Vilawatt unterstützt ein Netzwerk europäischer Städte bei der Übernahme bewährter Verfahren für die Energiewende aus der Arbeit im Rahmen des EU-Förderprogramms Urban Innovative Actions (UIA) im spanischen Viladecans. Die katalanische Kleinstadt ist ein Beispiel dafür, wie Bürger:innen und lokale Unternehmen sich aktiv an der Verbesserung der Energieeffizienz beteiligen können. In diesem Rahmen wurde beispielsweise ein lokales Energiekonsortium gegründet, das sich im gemeinsamen Besitz der Stadtverwaltung, der Bürger:innen und eines erneuerbaren Energieanbieters befindet. Zusätzlich zu einer öffentlichkeitswirksamen Kommunikationskampagne war die Förderung von Aktivitäten zur Verringerung des Kohlenstoffausstoßes innerhalb der Lieferkette lokaler Unternehmen ein wesentlicher Bestandteil des Projektes.

Kreislaufwirtschaft

Die Verringerung des Abfallaufkommens hat in allen Bereichen Priorität. In Europa hat dies insbesondere Auswirkungen auf die Industriesektoren der „roten Zone“, also Industriesektoren mit den größten Belastungen für die Umwelt. Dazu gehört beispielsweise das Baugewerbe, das derzeit für 25 Prozent des insgesamt anfallenden Abfalls verantwortlich ist. Um die EU-Ziele für diesen Sektor zu erreichen, ist ein vollständiges Umdenken im Sinne zirkulärer Verfahren notwendig.

Das URBACT-Netzwerk URGE besteht aus neun Städten, die sich auf die Förderung der Kreislaufwirtschaft im Bausektor konzentrieren. Eines der bemerkenswertesten Projekte befindet sich in München. Dort entsteht ein ganzes Stadtviertel nach diesen Grundsätzen. Auf dem 50 Hektar großen Gelände der ehemaligen Bayernkaserne werden 5.500 mietpreisgebundene Wohnungen entstehen. Von den 1,2 Millionen Tonnen Bauschutt, die beim Abriss der alten Militärgebäude anfallen, sollen 50 Prozent an Ort und Stelle recycelt werden. Dadurch entfallen 90.000 LKW-Fahrten. Das Projekt umfasst außerdem ein umfassendes Verfahren zur Bürger:innenbeteiligung und eine wichtige Ausbildungskomponente, bei der die Bauarbeiter:innen neue Fertigkeiten im Umgang mit Kreislaufwirtschaft erlernen.

Sehen Sie hier das Video zum Recycling-Pavillion der Stadt München.

Lebensmittelproduktion und -verbrauch

Der Lebensmittelsektor verursacht 30 Prozent der CO2-Emissionen in Europa und muss daher dringend einen nachhaltigen Wandel durchlaufen. Dieser hat jedoch erhebliche Auswirkungen auf Erzeuger:innen, Verbraucher:innen und Arbeitnehmer:innen. URBACT kann auf langjährige Erfahrungen in diesem Bereich zurückblicken, unter anderem mit dem URBACT-Netzwerk FOOD CORRIDORS, das die Stadtplanung als Instrument zur Entwicklung städtischer und regionaler Strategien für nachhaltige Lebensmittel nutzt.

Ein weiteres Beispiel für nachhaltige Lebensmittelproduktion ist das Projekt BioCanteens II, das von der französischen Stadt Mouans-Sartoux geleitet wird. Dieses URBACT-Transfernetzwerk ermöglicht Städten, urbane Landwirtschaft zu etablieren und den Ansatz von Mouans-Sartoux zur Förderung bezahlbarer, lokaler, biologischer Lebensmittel zu adaptieren – einer der Schlüssel zu einem klimaneutralen Europa. Auf diese Weise werden neue Fähigkeiten vermittelt, Arbeitsplätze geschaffen und sichergestellt, dass alle Bürger:innen von den Ergebnissen profitieren können.

Weiterführende Informationen finden Sie im URBACT Food Knowledge Hub (auf Englisch).

Nachhaltiger Tourismus

Der Tourismus ist ein weiterer Wirtschaftssektor, der erheblich angepasst werden muss, da die Menschen weniger und nachhaltiger reisen sollten, um Kohlenstoffemissionen zu reduzieren. Dies trifft ausgerechnet die Branche, die seit Beginn der Pandemie Anfang des Jahres 2020 große Einbußen verzeichnet. Diese Erfahrungen könnten der Branche jedoch helfen, sich darauf einzustellen den Wunsch zu reisen mit der Priorität, die Umwelt zu schützen, zu verbinden. Unter der Leitung der italienischen Stadt Genua untersucht das URBACT-Netzwerk TOURISM-FRIENDLY CITIES praktische Maßnahmen, um den etablierten Tourismus nachhaltiger zu gestalten, wie beispielsweise die Reduzierung von Plastikmüll und die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs. Weitere Netzwerkpartner sind unter anderem Venedig und Dubrovnik in Kroatien.

Grünere Städte

Im URBACT-Netzwerk RU:RBAN stehen die Biosphäre und bürgerschaftliches Engagement im Mittelpunkt. Die Partnerstädte lernen hier vom Managementmodell der städtischen Gärten in Rom, wo durch effektive Stadtplanung, Partizipation und den Aufbau von Strukturen und Kompetenzen städtische Grünflächen entwickelt und erhalten werden. Die angehenden Stadtgärtner:innen, die durch RU:RBAN unterstützt werden, fungieren dabei als Botschafter:innen, indem sie ihre Mitmenschen mobilisieren, eine aktivere Rolle bei der Begrünung ihrer Städte einzunehmen.

Ein neues Mindset fördern

Das URBACT-Netzwerk C-CHANGE, an dem die deutsche Stadt Gelsenkirchen mitwirkt, fördert ein Modell für die Einbindung des Kunst- und Kultursektors in lokale Klimaschutzmaßnahmen. Der Ansatz wurde zunächst von Manchester auf ein Netzwerk von Partnerstädten übertragen, darunter die italienische Stadt Mantua. Inzwischen teilt die Stadt mit Unterstützung von URBACT ihre Erfahrung mit anderen Städten im ganzen Land und hilft ihnen, ihre eigenen Kreativ- und Kulturindustrien zu mobilisieren, um Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen. Der Ansatz umfasst praktische Schritte zur Änderung der Einstellung und Anpassung von kulturellen Praktiken, wie z. B. durch Schulungen zur Kohlenstoffkompetenz. Er bietet aber auch ein neues Paradigma für die Art und Weise, wie Kultur präsentiert und konsumiert wird.

Wie geht es weiter?

URBACT setzt einen starken Fokus auf das Thema Klimaneutralität. Dies zeigt sich auch in der „Green Priority", die im Mittelpunkt des neuen URBACT IV-Programms ab 2022 stehen wird.

Das URBACT City Festival, das im Juni 2022 im Großraum Paris stattfindet, wird die erste große klimaneutrale Veranstaltung von URBACT sein, die Erfahrungen und Methoden für unsere Netzwerke und Partnerstädte hervorbringt. Es wird eine der letzten Veranstaltungen der französischen EU-Ratspräsidentschaft sein, zu deren Klimathemen der Emissionshandel, die Verbesserung der Kreislaufwirtschaft und die Steigerung sauberer Energieerzeugung gehören.

Darüber hinaus wird URBACT weiterhin eng mit anderen EU-Programmen zusammenarbeiten. Zum Beispiel hat URBACT gemeinsam mit UIA einen neuen Transfermechanismus erprobt und beteiligt sich aktiv an der Vermittlung von Wissen mit der UIA zum Thema „Just Transition."

Um ein klimaneutrales Europa zu schaffen, ohne dabei Menschen oder Orte zurückzulassen, sind neue Ansätze der Stadtverwaltungen und ein noch stärkeres Engagement für integriertes Arbeiten erforderlich. Als Programm setzt sich URBACT weiterhin dafür ein und unterstützt dies durch seine Arbeit zum Aufbau von Strukturen und Kompetenzen in Städten und sein wachsendes Repertoire an Methoden zur aktiven und konstruktiven Beteiligung von Interessengruppen.

Der Artikel basiert auf dem aus dem Englischen übersetzten Artikel „URBACT networks and the ‘Just Transition’“ von Eddy Adams. Übersetzung von Maximiliane Elspaß.