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Re-grow City: Nachteile in Chancen verwandeln

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22 May 2019
Read time: 4 minutes

Von Hans Schlappa

Immer mehr Städte und Gemeinden in Europa und der ganzen Welt verlieren den Kampf um Investitionen und Wachstum und finden sich schließlich bei den globalen Verlagerungen von Produktion und Konsum auf dem Abstellgleis wieder. Eine vergleichende Untersuchung von städtischen Schrumpfungsprozessen der OECD und der Vereinten Nationen zeigt, dass große Städte – selbst unter ungünstigen wirtschaftlichen Bedingungen – immer weiterwachsen, während mehr und mehr Kleinstädte anfangen zu schrumpfen und dem daraus resultierenden Niedergang nichts entgegensetzen können. Einigen Schätzungen zufolge schrumpfen 40 Prozent der städtischen Ansiedlungen in Europa. Den größten Teil davon machen Klein- und Mittelstädte aus, in denen beinahe ein Drittel der europäischen Bevölkerung lebt. Mehr als die Förderung von Wirtschaftswachstum ist in diesen Gemeinden mittlerweile der kontrollierte Rückbau zum strategischen Ziel geworden.

Der demografische Wandel, der Rückgang der Wirtschaft, der Wegzug der Menschen an die Stadtränder, weitere Wanderungsbewegungen sowie die komplexen Wechselwirkungen zwischen all diesen Faktoren charakterisieren die Dynamik von langjährigen rückläufigen Entwicklungen in Städten. Es gibt widersprüchliche Diskussionen darüber, was städtische Schrumpfung ausmacht: Ist es der signifikante Verlust von Einwohnern, der Wegfall von Arbeitsplätzen? Oder sind es die kollabierenden Grundstückspreise, die alternde Bevölkerung? Welches sind die entscheidenden Indikatoren und wie stark müssen sie ausgeprägt sein, um als Zeichen für eine anhaltende Schrumpfung herhalten zu können? Lokalverwaltungen und nationale Regierungen tun sich schwer, der städtischen Schrumpfung etwas entgegenzusetzen: Teilweise, weil diese Dynamiken auf ein „böses Problem“ im Bereich der Stadtentwicklung hindeuten. Gleichzeitig ist den Entscheidungsträgern bewusst, dass bewährte Ansätze zur Ankurbelung der Wirtschaftsentwicklung in schrumpfenden Städten gescheitert sind.

Altenas Erfahrung im Umgang mit jahrelangem Rückgang

Die Stadt Altena in Nordrhein-Westfalen, die das URBACT-Netzwerk Re-grow City federführend koordiniert, hat eine gute Erfolgsbilanz an anerkannten guten Modell-Lösungen, um mit den Ursachen und Folgen der Schrumpfung umzugehen. Viele dieser beispielhaften Lösungen entstanden mit einem Minimum an Fremdmitteln. Das bedeutet, Altenas Lösungsansätze zum Umgang mit dem Rückgang gehen zurück auf lokale Ressourcen und lokales Fachwissen. Die Erfahrungen der Kleinstadt zeigen, dass das Aktivieren von brachliegenden Ressourcen und Möglichkeiten eine offene Diskussion über die Zukunft der Stadt erfordert. In Altena zeigt sich auch, wie schwierig das sein kann: Eine Gemeinde, die seit Jahrzehnten darum kämpft, die negative Entwicklung ins Positive zu drehen, die Kindergärten und -tagesstätten, Büchereien und Sporteinrichtungen schließen musste, trägt nun, wenngleich unbeabsichtigt, zu einem Diskurs bei, der durch die Resignation über den Zustand der Stadt erschwert wird. Um eine Diskussion über die nachhaltige Zukunft einer Stadt anzustoßen, um ungenutzte städtische Ressourcen zu aktivieren, müssen Entscheidungsträger ein Gespräch in Gang bringen. So können sie ein gemeinsames Interesse am vorliegenden Problem schaffen und daran, es mit den begrenzten verfügbaren Mitteln zu lösen. Altena unterstützt die Netzwerkpartner von Re-grow City darin, einen solchen Dialog im Rahmen ihrer jeweiligen lokalen Arbeitsgruppen (URBACT Local Groups) zu initiieren.

Die Städtepartner von Re-grow City wollen Altenas Lösungsansätze in zwei zentralen Bereichen auf ihren eigenen Kontext übertragen: Bei der wirtschaftlichen Wiederbelebung und dem Ausbau des zivilgesellschaftlichen Engagements. Nach der Analyse der Bedürfnisse und der Kapazitäten der einzelnen Re-grow City-Partnerstädte wurden zwei thematische Arbeitspakete für den Transfer identifiziert: Das eine beschäftigt sich damit, leere Gebäude im Stadtzentrum wieder in Nutzung zu bringen, das andere damit, die Ressourcen, Kompetenzen und Netzwerke der Einwohner zu erschließen. Beim erstgenannten Arbeitspaket konzentriert sich der Transfer auf „Pop-Up-Stores“, also provisorischen Einzelhandel, der vorübergehend in den leerstehenden Geschäftsräumen der Innenstädte betrieben wird und nach Möglichkeit verstetigt werden kann. Das andere Arbeitspaket beschäftigt sich damit, eine Plattform für Freiwillige sowie ehrenamtliche Projekte und Kooperationen zu etablieren.

Eine Plattform für bürgerschaftliches Engagement etablieren: Schwerpunkt 1 des Transfers

Kommunen, die schon lange Jahre unter Strukturschwäche und Schrumpfung leiden, haben oft ernste finanzielle Probleme aufgrund von sinkenden Steuereinnahmen und ausbleibenden externen Investitionen. Gleichzeitig fallen hohe Sozialkosten an, damit die Städte den überproportionalen Anteil an älteren, arbeitslosen oder sozial benachteiligten Menschen versorgen können.  Eine Lösung dafür ist die Stärkung des ehrenamtlichen Engagements derjenigen Einwohner, die keine Anstellung haben oder in Rente sind, dafür aber über die Fähigkeiten und die Mittel verfügen, um Bedürftigen zu helfen oder Engpässe zu überbrücken. So können oft sehr komplexe soziale Probleme auf strukturierte Art angegangen werden. Altena gründete 2008 das „Stellwerk“. Der Name ist Programm: Das Anliegen der zivilgesellschaftlichen Plattform ist es, „die Signale für bürgerschaftliches Engagement auf ‚grün‘ und die Weichen für das Zusammenbringen von ehrenamtlicher Tätigkeit und Hilfebedarf richtig zu stellen“. Das Stellwerk startete ohne Budget. Die Stadt stellte Räumlichkeiten zur Verfügung, bezahlte Strom, Heizung und Reinigung und stellte ein Minimum an administrativen Ressourcen zur Verfügung. Aktuell hat das Stellwerk acht ehrenamtliche Mitarbeiter. Diese koordinieren einige hundert Freiwillige, die behinderte Menschen unterstützen, Bands und Kunstgruppen leiten, Hausbesuche und Pflege zu Hause anbieten, sich um die Integration von geflüchteten Menschen kümmern und vieles mehr. Das Stellwerk ist die Schnittstelle und der Kommunikationskanal für die Stadt auf der einen und die ehrenamtlichen Initiativen auf der anderen Seite.  Die Plattform hat keine repräsentative Funktion, aber sie spiegelt das Wesen der Zivilgesellschaft vor Ort wider und ist unabhängig von der Kommune. 

Pop-up-Stores etablieren: Schwerpunkt 2 des Transfers

Wirtschaftlicher Rückgang und die Abwanderung der erwerbstätigen Bevölkerung resultieren normalerweise in einem Überangebot an Läden. Darunter leiden insbesondere die Innenstädte, da die Gewerbemieten dort höher sind, was dazu führt, dass die Einzelhändler in günstigere Lagen umziehen, um über die Runden zu kommen, oder dass sie ganz schließen müssen. Sogenannte „Pop-up Stores“ sind ein effektiver Ansatz, um die Stadtzentren mit neuen Läden zu bevölkern. Ziel ist es, die Unternehmer dabei zu unterstützen, ihr Geschäftsmodell an einem Standort eine gewisse Zeit lang zu testen und ihnen dann den Übergang in einen dauerhaften Gewerbemietvertrag mit den Ladenbesitzern zu erleichtern. Die Stadt trägt während dieser Testphase ein gewisses Risiko, auch finanziell. Zum einen gilt es, dem Widerstand der alteingesessenen Einzelhändler zu begegnen, andererseits muss die Kommune mit den Besitzern der leeren Ladenlokale verhandeln. Altena experimentierte mit zwei Ansätzen und hatte mit dem zweiten Erfolg: Es gelang, 14 Pop-up Stores zu etablieren, von denen fünf nun dauerhaft ihre Waren in der Fußgängerzone anbieten. Nach jahrelanger Schrumpfung und kommunalem Sparkurs sind die Einwohner richtig stolz auf dieses Ergebnis, das zudem ohne externe Förderung erreicht wurde.

Schwerpunkt auf kleine und mittelgroße Städte

Re-grow City legt den Fokus bewusst auf kleine und mittelgroße Städte. Nicht nur, weil sie es sind, die in Europa mehrheitlich schrumpfen, sondern auch, weil sie, was knappe Haushalte und beschränkte technische Leistungsfähigkeit angeht, andere Herausforderungen haben als größere Städte. Diese Einschränkungen bergen aber auch Chancen: So etwa starke soziale Netzwerke und Gemeinschaften mit einem hohen Niveau an „sozialem Kapital“ oder kurze Entscheidungswege, was das Ausprobieren von neuen oder kontroversen Methoden erleichtert.  Zusammen mit den Ressourcen und Fähigkeiten der Einwohner macht das schrumpfende Städte zu Orten mit Chancen und kann sie widerstandsfähig machen, sogar in Bereichen mit großen Beschränkungen. Indem sie in ihren Städten einen Prozess der kritischen Reflexion anstoßen darüber, wie die jeweilige Kommune sich aus eigener Kraft weiterentwickeln und lokale Chancen nutzen kann, tragen die Re-grow City-Partner dazu bei, strategische Zukunftsvisionen für ihre Städte zu entwerfen. Die komplexe Aufgabe, kleiner – und vielleicht besser – „nachzuwachsen“ bzw. nachhaltig zu schrumpfen, wird auch über die Laufzeit des Netzwerkes hinaus für die Beteiligten eine Herausforderung bleiben.

Zum Autor: Als Akademiker und Fachmann für Stadterneuerung übernimmt Dr. Hans Schlappa die Rolle des Lead Experten bei Re-grow City.