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Der Bürger als Bürgermeister

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12 May 2016
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Bürgerbeteiligung und soziale Innovation waren das Thema des Eurocities Sozial-Forums am 16. März 2016 im französischen Nantes. Die Städte sind in Europa die Impulsgeber für mehr soziale Innovation, mit Themen, die von Gesundheit und Pflege bis hin zur Integration von Einwanderern reichen. Tenor der Konferenz war, dass die Städte, die sich auf ihre Bürger einlassen möchten, sich selbst und vor allem ihre interne Kultur ändern müssen. Das inspirierendste Beispiel der Veranstaltung kam allerdings ganz und gar nicht aus Europa, fand URBACT-Experte Peter Ramsden.

Seoul

Seoul ist die sozial innovativste Stadt der Welt

Die südkoreanische Hauptstadt Seoul ist weltweit als die sozial innovativste Stadt anerkannt. Dies hat sie ihrem Bürgermeister, dem ehemaligem Bürgeraktivisten Wonwoon Park, zu verdanken. Nachdem er sich in den 1980er Jahren einen Namen als Anwalt für Bürgerrechte gemacht hatte, gründete Park 2002 das „Institut Hoffnung“ als ein soziales Unternehmen, um die Lebensbedingungen in der Stadt zu verbessern. Im Jahr 2011 wurde er als Parteiloser zum Bürgermeister der Metropole gewählt. Er hatte mit einer Wahlkampagne überzeugt, die soziale Medien und Veranstaltungen in Rathäusern verband, bei denen Bürger ihre eigenen Vorschläge einbringen konnten.

Mobiles Bürgermeister-Büro

Sein Mantra ist: Der Bürger ist der (Bürger)Meister. Diese Aussage untermauerte er mit einer Serie radikaler politischer Entscheidungen, durch die er eine wechselseitige Kommunikation zwischen dem Rathaus und den zehn Millionen Einwohnern erreichte. Die Einwohner können zum Beispiel einen Tag lang Assistent des Bürgermeisters sein. So bekommen sie eine „Innenansicht“ davon, wie die Arbeit im Rathaus funktioniert. Gibt es ein größeres Problem, verlegt Park seinen Arbeitsort einfach in den betreffenden Stadtteil und bleibt dort, bis es eine Lösung gibt. Bislang kam das „mobile Büro“ des Bürgermeisters 19 Mal zum Einsatz und ihm wird die Behebung einiger der akutesten städtischen Herausforderungen angerechnet.

Allgegenwärtige Smartphones und tief verwurzelte Beteiligungsprozesse

Seoul wurde zur weltweit führenden digitalen Stadt gekürt. Eine langsame W-LAN-Verbindung ist überall in der Stadt frei verfügbar. Smartphones sind allgegenwärtig und es gibt tausende von kostenfreien Hotspots. Dutzende städtische Webseiten stehen für spezielle Bedürfnisse zur Verfügung, von einer Gefahrenabwehr bei Stürmen oder terroristischer Bedrohung bis hin zu künftigen Crowd-Sourcing Politiken.

Der Ansatz der Mitbeteiligung ist tief verwurzelt. Eine zufällig ausgewählte Bürgerversammlung gibt Ratschläge für ein Jahresbudget von 20 Millionen US-Dollar. In 600 städtischen Veranstaltungsräumen wurden bislang 20.000 Bürgerversammlungen abgehalten. Läuft alles nach Plan, wird die Stadt ihren CO2-Ausstoß bis 2030 um 20 Millionen Tonnen und die Feinstaubbelastung um 40 Prozent verringert haben. Neue Grünflächen entstehen, inklusive einer Version der New York High Line (Park auf einer nicht mehr genutzten Güterzugtrasse) auf einer ehemaligen innerstädtischen Autobahn.

Seoul lebt den Ansatz des Teilens

Die Stadt ist zudem die führende „teilende“ (sharing) Stadt mit hunderten kleinen, von Bürgern angestoßenen Initiativen. Man kann einen Anzug für ein Vorstellungsgespräch teilen, ein Buch innerhalb eines Wohnblocks, oder als Student eine Wohnung mit einem älteren Menschen. Alle Initiativen versuchen, Elemente von Gegenseitigkeit, Gemeinschaft und Aktivität einzubringen um die soziale Balance zu stärken. Die Einwohner von Seoul leiden unter Stress, Isolation und haben Sorgen, genau wie in jeder anderen Stadt. Südkorea hat weltweit die zweithöchsten Selbstmordraten. Hauptgründe dafür sind Altersarmut und Stress bei jungen Menschen. Das Teilen wird als ein Weg gesehen, um die Bürger, die zum großen Teil in Hochhausblocks wohnen, wieder miteinander in Verbindung zu bringen, und belastbarere Gemeinschaften aufzubauen.

Verwaltungsstrukturen ändern

Die Verwaltung in Seoul ist genauso rigide und schwierig zu ändern wie unsere Administrationen in europäischen Städten. Sie krankt an Abteilungsdenken, Bürokratie und fehlender integrierter Herangehensweise. Der Fokus lag darauf, die interne Kultur der 17.000 städtischen Angestellten in den 30 verschiedenen Abteilungen zu ändern. Die Südkoreaner haben dazu den neuen Ansatz „Cheong Chek“ entwickelt, was so viel heißt wie Politik durch Zuhören.

Soziale Innovation von innen und von außen anstoßen

Mein Eindruck nach der Konferenz war, dass Städte sich vor allem damit auseinandersetzen müssen, wie sie zur sozialen Innovation beitragen und diese organisieren können. Sie können das zum einen „von außen nach innen“ angehen. Das heißt, dass die Stadt sich auf externe Organisationen verlässt, um ihre Ambitionen von sozialer Innovation zu verfolgen. Typischerweise funktioniert das durch die Förderung von verschiedenen unabhängigen Einrichtungen der Stadt. Dazu zählen Räume, die Zusammenarbeit ermöglichen (coworking spaces), Labore, Kreativ-Zentren und finanzielle Instrumente. Oder sie können es „von innen nach außen“ organisieren, indem sie eine Abteilung für Innovation in der Stadt etablieren. Seoul ist eine große Stadt und hat beide Ansätze verfolgt, mit einer großen Abteilung innerhalb der Stadtverwaltung, aber auch mit beachtlichen Investitionen in unabhängige Akteure der sozialen Innovation. Vielleicht bekommt man mit einer Kombination das Beste aus beiden Herangehensweisen.

Gute Beispiele aus Europa und dem URBACT-Programm

Bei der Konferenz präsentierten auch europäische Städte innovative Lösungen. So gründete Turin im vergangenen Jahr ein Zentrum für offene Innovation. Anderlecht in Brüssel hat kürzlich eine „Social Innovation Factory“ eröffnet. Dabei wird eine virtuelle Währung dafür genutzt, um Dienstleistungen der sozialen Innovation untereinander zu bezahlen. Unter den URBACT-Städten laufen in Danzig und Paris partizipative Budget-Ansätze. Danzig ist Lead Partner und Paris Partner im neuen Aktionsplanungs-Netzwerk Boost Inno. Genua arbeitet daran, über soziale Medien besser mit seinen Bürgern in Kontakt zu treten und leitet ein URBACT-Netzwerk zu diesem Thema namens Interactive Cities. Eindhoven beschäftigt sich gemeinsam mit den anderen Partnern des URBACT-Projektes Change! mit Bürgerbeteiligung im Dienstleistungsbereich.

Dies ist eine Übersetzung des englischen Artikels von Peter Ramsden. Zum Originaltext.
Bildnachweis: Seoul Innovation Office