Neun Wege, wie Städte gerechter und integrativer werden können
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12 August 2021Diese lokalen Maßnahmen für eine gerechtere Gesellschaft inspirieren Städte in der ganzen EU. Könnten sie auch in Ihrer Stadt funktionieren?
Die Neue Leipzig-Charta hebt drei Dimensionen europäischer Städte hervor, auf denen eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung von morgen basiert: die gerechte Stadt, die grüne Stadt und die produktive Stadt. Diese Leitbilder der Charta und ihre Arbeitsprinzipien können zur Verbesserung der Lebensqualität der Menschen genutzt werden.
Die jüngste URBACT-Veröffentlichung enthält eine Fülle nachhaltiger Lösungen für diese drei Dimensionen - allesamt erprobt, getestet und auf andere EU-Städte übertragen, mit individuellen Anpassungen an den jeweiligen lokalen Kontext. Als Vorgeschmack auf die ausführlichen Berichte in der Veröffentlichung „Good Practice Transfer - Why not in my City?“ finden Sie hier neun Beispiele lokaler Maßnahmen für gerechte Städte. URBACT hofft, dass Städte und Gemeinden aller Größenordnungen inspiriert werden, diese Ideen zu verstehen, anzupassen und wiederzuverwenden („Understand, Adapt and Re-use“), um mit den Bürger:innen ko-produktiv zusammenzuarbeiten und die drei Leitbilder zu einem fairen Wandel zu einer grünen, nachhaltigen Wirtschaft zu fördern, an der alle teilhaben können.
1. Soziale Integration durch Musik
Die Stadt Brünn in der Tschechischen Republik bekämpft soziale Ausgrenzung in benachteiligten Vierteln mithilfe eines Musikprogramms, das Kinder gleichzeitig ermutigen soll mehr Zeit in der Schule zu verbringen. Inspiriert wurde die Stadt dabei von der innovativen städtischen Musikschule und dem Kunstzentrum in L'Hospitalet de Llobregat in Spanien. Brünn ist eine von sechs EU-Städten des ONSTAGE-Netzwerks, die den Ansatz „Integration durch Musik“ von l'Hospitalet übernommen hat. In Zusammenarbeit mit Lehrenden und Eltern hat die Stadt eigene Musikgruppen in benachteiligten Vierteln ins Leben gerufen, wie ein Symphonieorchester, Big Bands, Pop-Rock- und Jazzgruppen. Durch diese Gruppen wurden Menschen zusammengebracht und der kulturelle Austausch erleichtert. Neben diesen unmittelbaren Erfolgen konnten auch weitere positive Nebeneffekte für die Schüler:innen erzielt werden, wie bessere Noten in Mathematik und anderen Fächern.
Pregrada in Kroatien hat einen Weg gefunden die Freiwilligenarbeit in der Stadt zu stärken und mehr junge Menschen zu ermutigen, sich für andere ehrenamtlich zu engagieren. Durch die Bildung einer örtlichen Initiative, die einschlägige Verbände, Mitarbeitende der Stadtverwaltung und Bürger:innen aller Altersgruppen zusammenbringt, wurde eine neue Verwaltungsstruktur für die Freiwilligenarbeit eingeführt. Diese Maßnahme ist Teil eines Beteiligungsmodells zur Lösung sozialer Probleme in der Stadt. Pregrada konnte bereits auf einem Netz an aktiven Freiwilligen und engen Verbindungen zwischen den zuständigen Gremien und der Stadtverwaltung aufbauen. Um diese zu stärken und die neue Verwaltungsstruktur aufzubauen, orientierte sie sich am Modell des gut etablierten kommunalen Rats für Freiwilligentätigkeit in Athienou in Zypern und tauschte sich mit sechs anderen EU-Städten im Rahmen des Netzwerks Volunteering Cities aus, bei dem auch die Kleinstadt Altena Partner war.
3. Einsatz für Integration und Toleranz
Der Hamburger Bezirk Altona rief im Januar 2020 die „Altonaer Deklaration“ aus, mit der sich der Bezirk zur Vielfalt der Menschen und ihrer Lebensentwürfe bekennt. Sie besteht aus einer Reihe von Grundsätzen gegen Diskriminierung, die von Politiker:innen und Bewohnenden gemeinsam entwickelt und auf den Weg gebracht wurden: „Wir in Altona… sind für eine freie und demokratische Gesellschaft; begegnen gerne neuen Menschen; repräsentieren Vielfalt und engagieren uns gegen Diskriminierung; begegnen jedem Menschen mit Respekt und Toleranz; glauben an die Gleichwertigkeit aller Menschen; sehen in Vielfalt Chancen und keine Risiken; begegnen jedem Menschen offen und ohne Vorurteile.“
Inspiriert wurde der Bezirk Altona von der Initiative „Don't feed the rumour“ von Amadora in Portugal. So begann Altona im Rahmen des Netzwerks RUMOURLESS CITIES seine Antidiskriminierungsstrategie damit, lokale Kampagnenbotschafter:innen zu ernennen und die Einwohnenden zu den Themen Gemeinschaft, Demokratie und Gleichberechtigung zu befragen und zu beteiligen. Das Ergebnis war die Altonaer Deklaration, die den Wunsch der Bewohner:innen festhält, in einer Gesellschaft zu leben, in der die Menschen füreinander da sind.
4. Das lokale kulturelle Erbe durch „Story-telling“ bekannt machen
Rund um einen ehemaligen Radiosender in einem finnischen Vorort der Stadt Pori aus den 1950er Jahren hat sich eine Gruppe von Menschen zusammengefunden, die sich für das architektonische Erbe der Umgebung engagiert, eine aktive Bürgerschaft fördert und das lokale Miteinander stärken will. In Zusammenarbeit mit der Kulturabteilung der Stadt bildete ein dort ansässiges Kunstkollektiv eine Initiative und bat Nachbar:innen und Radioenthusiast:innen ihre Geschichten über die Radiostation und das Viertel persönlich und online mitzuteilen. Auf diese Weise wurden eine Reihe von Veranstaltungen ins Leben gerufen, die das Interesse am lokalen Kulturerbe und an der Wiederbelebung der verlassenen Räumlichkeiten im alten Radiosender weckten. Die Stadt Pori stützte sich bei der Initiative auf Erfahrungen des jährlichen Budapester „Wochenendes der offenen Tür", von denen es dank des Come in!-Netzwerks lernen konnte.
5. Städtisches Eigentum mitverwalten
In der belgischen Stadt Gent ist politische Beteiligung durch die sogenannten „Nachbarschaftsmanger:innen“ schon lange gelebte Praxis. Diese Manager:innen werden vom Stadtrat ernannt und unterstützen eine Vielzahl von Bürgerinitiativen. Das Netzwerk Civic eState half Gent dabei, von der Gesetzgebung für städtische Gemeingüter in Städten wie Neapel, Barcelona, Amsterdam und Danzig zu lernen und die Zusammenarbeit mit den Bewohnenden weiter zu verbessern. Darüber hinaus konnten die Erfahrungen der Städte zeigen, wie man die politischen Beteiligungs-, Liegenschafts- und Rechtsabteilungen einer Stadt zusammenbringt. Die Erkenntnisse aus diesem Netzwerk wandte die Stadt Gent bei der Neunutzung der stillgelegten St. Jozef-Kirche an. Gemeindemitglieder, Bürger:innen und Organisationen aus der Umgebung bildeten hierfür eine Arbeitsgruppe und benannten gemeinsam eine lokale Koordinationsstelle. Diese sorgt schließlich dafür, dass die Verwaltung und Nutzung der ehemaligen Kirche die Bedürfnisse der vielfältigen Nachbarschaft berücksichtigen.
6. Stärkung von Nachbarschaftsinitiativen
Eine neue Initiative in der französischen Metropole Lille hat sich zum Ziel gesetzt Bürger:innen zu unterstützen ihre eigenen gemeinsamen sozialen Projekte zu entwickeln und zu verwirklichen. Dafür ermittelten sie die örtlichen Vereine in benachteiligten Vierteln und zeigten ihre potenziellen Synergien auf und regten Kooperationen an. Ein Projekt, das mit Hilfe dieses Vorgehens initiiert werden konnte, war beispielsweise eine engere Kooperation zwischen einem Altenheim und einer benachbarten Schule. Ziel ist es bei der Initiative diese Projekte auf dem Weg zur Selbstständigkeit zu unterstützen. Die Stadt Lille stützte sich mit ihrer Initiative auf die Erfahrungen, die das Netzwerk Com.Unity.Lab mit der „Lokalen Entwicklungsstrategie für Schwerpunktinterventionen“ von Lissabon in Portugal gemacht hat. Das Lissabonner Programm bekämpft Armut und unterstützt die Gemeinden durch die Bereitstellung von Mikrozuschüssen für Tausende von Einzelprojekten, von denen viele selbstständig werden und dauerhafte Arbeitsplätze schaffen.
7. Mit Bürger:innen durch Spaß und Spiele in Kontakt treten
Cork in Irland verfolgt einen spielerischen Ansatz zur Gestaltung der Stadt für alle, der von der Initiative „Let's Play Cork“ gesteuert wird. Ihr gehören der Stadtrat, öffentliche Einrichtungen und Verbände aus den Bereichen Gesundheit, Bildung, Kultur und Sport an. Unter Anwendung des „Good-Practice“-Beispiels der italienischen Stadt Udine und anderen Städten des Playful Paradigm-Netzwerks wurden in Cork bisher u. a. folgende Aktivitäten durchgeführt: Pop-up-Spielbereiche im Stadtzentrum, in Parks und Bibliotheken; Spielmaterialien für Festivals, Spielzeugausleihe in Bibliotheken und Bereitstellung von Paketen mit „Straßenspielen“ für Quartiersveranstaltungen. Dieser Ansatz war ein Impuls für lokale Initiativen und Bewohnende, um gesellschaftliche Herausforderungen gemeinsam anzugehen, wie z. B. die gemeinsame, spielerische Entwicklung von Ideen zur öffentlichen Raumgestaltung oder auch zur dauerhaften Verkehrsberuhigung in bestimmten Straßen.
8. Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aufbauen
Das „NGO-Haus“ in Riga in Lettland ist ein Ort, an dem zivilgesellschaftliche Organisationen Veranstaltungen organisieren und eine nachhaltige Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung entwickeln. Außerdem haben sie dort die Möglichkeit pädagogische, technische und administrative Hilfestellung zu erhalten. Durch das ACTive-NGO-Netzwerks, indem Riga den Leadpartner stellte, inspirierte dieses Modell Städte in der ganzen EU, ihre eigene Zusammenarbeit zwischen NGOs, Bürgerschaft und öffentlichen Einrichtungen zu fördern. Die sizilianische Stadt Siracusa gestaltete zum Beispiel zusammen mit lokalen Vereinen drei neue öffentliche Begegnungsräume: Das Citizen's House in einem verlassenen Stockwerk einer Schule in einem benachteiligten Viertel, das Officine Giovani in einem historischen Zentrum und das Urban Centre, ein wiederbelebter Raum, der Verwaltung und Bürgerschaft bei der Entwicklung von lokalen Politikideen zusammenbringt.
9. Internationale Talente willkommen heißen
Die Stadt Debrecen in Ungarn ist der Sitz mehrerer multinationaler Unternehmen und einer Universität. Sie baut ihre Unterstützung für Fachkräfte und Studierende aus anderen Ländern aus, damit sich diese willkommen und als wichtige Mitglieder der Gesellschaft fühlen. Debrecen ist eine von sechs Städten des Netzwerks Welcoming International Talent, das vom niederländischen Groningen inspiriert wurde, wo ein multidisziplinäres Team internationalen Einwohnenden aktive Unterstützung in den Bereichen Wohnen, Arbeit, Stadtleben und Kommunikation mit Behörden bietet. Im intensiven Austausch mit lokalen Arbeitgeber:innen und anderen Akteur:innen wurden die sozialen und wirtschaftlichen Vorteile eines für ausländische Fachkräfte attraktiven Standorts vermittelt. Zu den nächsten Schritten gehören die Förderung von bezahlbarem Wohnraum und die weitere Ermutigung lokaler Unternehmen, internationale Talente einzustellen.
Auch die Stadt Magdeburg war Teil des Netzwerkes und setze Groningens Beispiel in einem zentral gelegenen Willkommens- und Informationspunkt um, der internationalen Fachkräften, Studierenden und Wissenschaftler:innen in allen Lebensfragen Unterstützung bietet.
Erfahren Sie mehr über diese und viele weitere Lösungen für nachhaltige Städte in der neuen URBACT-Publikation „Good practice transfer: Why not in my City?“. Weitere Anregungen finden Sie auch in der „Good-Practice“-Datenbank.
Aus dem Englischen von Lilian Krischer.
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