Stärkung der Resilienz in kleinen, touristisch geprägten Städten in Zeiten der Corona-Pandemie
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07 December 2020URBACT hilft kleineren Städten, die vom Tourismus abhängig sind, dabei, ihre Zukunft nach Covid-19 neu zu gestalten.
Die Covid-19-Pandemie hat ganz Europa erheblich in Mitleidenschaft gezogen, die Umstände in den einzelnen Ländern und Städten sind allerdings sehr unterschiedlich. In diesem Artikel befassen wir uns mit den Erfahrungen zweier kleinerer URBACT-Städte - Dubrovnik (HRV) und Grosseto (IT): beides Kommunen, die stark vom Tourismus abhängig sind. Während Großstädte in der Regel wirtschaftlich breiter aufgestellt sind, was sie in Krisensituationen schützt, haben es gerade kleinere Städte, die sich hauptsächlich auf einen Wirtschaftszeig konzentrieren, schwerer. Durch den eingeschränkten Tourismus müssen Dubrovnik und Grosseto mit schwerwiegenden ökonomischen Folgen umgehen, obwohl sie das Schlimmste der Gesundheitskrise selbst eigentlich schon überstanden haben.
Tourismus in Dubrovnik neu erfinden
Dubrovnik im Süden Kroatiens ist bei Tourist*innen wegen seiner gut erhaltenen mittelalterlichen Altstadt und der schönen Adriaküste sehr beliebt. So kam die 40.000-Einwohner-Gemeinde im Juni 2019 auf 1,2 Millionen Übernachtungen. Aber wie bei jeder Stadt, die sich auf den Tourismus konzentriert, kann ihr Erfolg auch ihre größte Herausforderung sein. Vor der Pandemie hatte Dubrovnik mit dem Massentourismus und der damit verbundenen Umweltverschmutzung, den Menschenmassen und dem Müll zu kämpfen. Aber jetzt, nach den durch die Pandemie ausgelösten weltweiten Lockdowns und Reisebeschränkungen, ist dieser Tourismus völlig verschwunden. Die Straßen sind leer und die Wirtschaft ist im freien Fall. Nach Angaben der Stadt waren die Tourismuseinnahmen am 1. Juni 2020 um 98 Prozent niedriger als im Vorjahreszeitraum. Bei so viel Einkommen und so vielen Arbeitsplätzen, die vom Tourismus abhängen, hat Corona die Stadt hart getroffen, obwohl sie unter dem Virus selbst nicht schwer gelitten hat. „Alle haben gehofft, dass der Tourismus im Sommer wieder zur Normalität zurückkehren würde, aber dann kam der Sommer, und die Zahlen sind so niedrig geblieben, wir hatten etwa 20 Prozent der Besucher*innen des letzten Jahres", sagt Alisa Vlasic, die Koordinatorin der lokalen URBACT Arbeitsgruppe (URBACT Local Group - ULG) der Stadt für das Netzwerk Tourism-Friendly Cities. Sie erklärt, dass sich andere Teile des Landes, die vor allem auf Besucher*innen zählen, die mit Auto und Bahn anreisen, stärker erholt hätten, aber internationale Tourist*innen, die im Allgemeinen mit dem Flugzeug nach Dubrovnik kämen, hätten ihre Reise meist storniert.
© Tonci Plazibat
„Covid-19 hat eine große Wirtschaftskrise im ganzen Land verursacht", sagt Vlasic, „aber Dubrovnik war bisher am stärksten betroffen.“ Trotzdem ist Vlasic der Ansicht, dass jetzt der kritische Zeitpunkt gekommen sei, um das Verhältnis der Stadt zum Tourismus neu zu überdenken. „Die Bürgermeisterin weiß, dass die vollständige Abhängigkeit vom Tourismus in Zeiten der Wirtschaftskrise noch mehr Herausforderungen mit sich bringt", sagt sie. „Diese Situation zwingt die Stadt zum Umdenken. Bisher war es oft zu schwierig, etwas zu verändern, aber jetzt müssen wir es tun.“ Dubrovnik ist seit September 2019 Teil des URBACT-Netzwerks Tourism-Friendly Cities („Tourismusfreundliche Städte"). Das Netzwerk habe ihnen geholfen, ihre Arbeit für einen ausgewogeneren Tourismus voranzubringen. „Die Stadt hat mit diesen Diskussionen bereits vor drei Jahren begonnen, aber jetzt ist es an der Zeit, sie in die Tat umzusetzen", so Vlasic. Sie erklärt, dass das gesamte Netzwerk seine Gespräche neu ausrichte, um auf die Auswirkungen der Pandemie zu reagieren. Die Städte, die bereits vor Corona versucht hatten, gegen den Massentourismus vorzugehen, arbeiten nun gemeinsam an der Frage, was nachhaltiger Tourismus in der Zeit der Konjunkturerholung bedeuten kann. „Es ist interessant zu sehen, wie jedes Land versucht, den Tourismus neu zu überdenken", meint Vlasic. Städte wie Venedig – eine weitere Partnerstadt – und Dubrovnik stehen mit vor den größten Herausforderungen.
Dubrovnik, June 2020, © Grgo Jelavic
Obwohl Vlasic der Ansicht ist, dass in Dubrovnik der Tourismus weiterhin die stärkste Wirtschaftskraft sein wird, sieht sie in der aktuellen Situation eine Chance, die ökonomische Diversität voranzubringen und andere Sektoren zu fördern. „Ich sehe keine ganz neue Wirtschaft", betont sie, „aber ich denke, dies gibt den Bürger*innen vor Ort eine Menge Perspektiven, um über andere Dinge nachzudenken. Ich stelle mir vor, dass künftig vielleicht nur noch 70 Prozent der Menschen wirtschaftlich auf den Tourismus angewiesen sind, nicht mehr 90 Prozent wie heute.“ Das Netzwerk Tourism-Friendly Cities leistet nach wie vor einen entscheidenden Beitrag zur Erholung Dubrovniks. „Das Netzwerk gibt uns die Verbindung und die Außenperspektive, die wir brauchen", sagt Vlasic. „In der Pandemie kann es sich so anfühlen, als seien wir alle isoliert. Aber gerade jetzt ist es wichtig, vernetzt zu sein. Das URBACT-Netzwerk ermöglicht es, dass wir tagtäglich Erfahrungen mit anderen Städten austauschen und uns gegenseitig unterstützen können", so Vlasic.
ULG-Innovation in Grosseto
Seit Beginn der Pandemie war die Stadt Grosseto in der südlichen Toskana mit 80.000 Einwohnern mit Sicherheits- und Präventionsmaßnahmen aktiv: Sie ermutigte die Menschen, zu Hause zu bleiben und stellte kostenlose Gesichtsmasken zur Verfügung. Teilweise als Folge davon sind die Corona-Fallzahlen niedrig geblieben. Doch als historische und malerische Stadt, die auf den Tourismus angewiesen ist, wurde Grosseto durch den Lockdown wirtschaftlich erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Der Zeitpunkt des Engagements des URBACT-Aktionsplanungsnetzwerks iPlace war dafür genau richtig. Es unterstützt kleinere Städte dabei, ihre Nischen für eine nachhaltige lokale Wirtschaftsentwicklung zu finden, was in dieser Situation direkte und praktische Hilfe bot. iPlace Lead Experte Wessel Badenhorst erklärt: „Grosseto nimmt zum ersten Mal an einem URBACT-Netzwerk teil, und die Gründung der ULG war eine Herausforderung. Sie haben viel harte Arbeit geleistet und ihr erstes ULG-Treffen [Ende 2019] abgehalten. Als es dann zum Lockdown kam, konnten sie diese lokale Arbeitsgruppe als eine geschlossene Kommunikationsplattform mit ihren Geschäftspartnern nutzen“.
In der Tat war die Infrastruktur der ULG am Ende entscheidend. „Als Corona im März 2020 ausbrach, wurde die ULG von der Verwaltung vorübergehend zu einer 'Makro'-ULG erweitert, an der nicht nur örtliche Verbände, sondern auch überregionale Institutionen und Berufsverbände beteiligt waren", sagt Annalisa David, iPlace Communication Officer für Grosseto. „Das ermöglichte uns, die lokalen Bedürfnisse einer Reihe verschiedener Interessengruppen zu verstehen.“ Wenn die Verwaltung jetzt etwas Neues vorzuschlagen hat, bringt sie die Interessenvertreter*innen der Makro-ULG zusammen und fragt, was sie davon halten. „Das ist eine neue Art und Weise, wie die Verwaltung mit den Bürgern umgeht", sagt David. In der Makro-ULG arbeiteten acht Unter-Arbeitsgruppen an verschiedenen Herausforderungen der Pandemie – von Tourismus und Handel bis hin zu Bauwesen und Kommunikation – und entwickelten innovative Vorschläge zur Unterstützung Grossetos. „Bereits im Mai hatten wir diese Ideen in konkrete Projekte umgesetzt", sagt David. Die Projekte umfassten eine breite Palette von Maßnahmen. Die Stadtverwaltung beschloss, fast alle Steuerzahlungen der Bürger*innen aufzuschieben, um den Menschen zu helfen, sich finanziell von der Krise zu erholen. Um „Social Distancing“ zu gewährleisten, verfügte die Stadt, dass Restaurants und Cafés den öffentlichen Raum außerhalb ihrer Räumlichkeiten für das gesamte Jahr 2020 kostenlos nutzen können.
Ein Marketingprojekt, MAreMMA Nel Cuore (MAreMMA in deinem Herzen), wurde gestartet, um in den Geschäften und Restaurants von Grosseto für lokale landwirtschaftliche Produkte zu werben. Eine neue kostenlose App, der Ermes-Shop, wurde entwickelt, um die Menschen mit Unternehmen vor Ort in Verbindung zu bringen, damit sich der Handel erholen kann.
Bestehende zivilgesellschaftliche Projekte wurden ebenfalls zügig vorangetrieben. Die Stadtverwaltung von Grosseto hatte bereits an einem Radwegenetz gearbeitet, um das Stadtzentrum mit verschiedenen wichtigen touristischen Sehenswürdigkeiten zu verbinden. „Die Pandemie hat dieses Vorhaben beschleunigt", erklärt David. Neben dem Radwegenetz werden in der ganzen Stadt weitere Fahrradständer installiert und in der gesamten Provinz werden E-Bike- und Elektrofahrzeug-Ladestationen eingerichtet. David hofft, dass dies den Tourismus in Grosseto ankurbeln könnte.
Der Blick in die Zukunft
Beide Städte nutzen die Erfahrungen ihrer URBACT-Netzwerke, um sich schneller von Corona zu erholen und eine nachhaltige Zukunft aufzubauen. Dies wird sich direkt auf die Ausarbeitung ihrer Integrierten Aktionspläne für nachhaltige Stadtentwicklung auswirken.
Annalisa David glaubt, dass die Makro-ULG in Grosseto auch in Zukunft eine Plattform zur Diskussion von Themen jenseits des iPlace-Netzwerks sein wird, da diese Infrastruktur für die Stadt bisher sehr hilfreich war: „Die ULG hat uns gezeigt, wie wir Probleme schnell selbst lösen können, anstatt auf externe Hilfe zu warten – und wie wir Ressourcen am besten nutzen können.“
In Dubrovnik hofft Alisa Vlasic, dass der Tourismus in der Stadt wieder in Gang kommt – jedoch ohne den Massentourismus. Die Stadtverwaltung möchte ihren Aktionsplan „Tourism-Friendly Cities" mit ihrem Projekt „Respect the City" verbinden, das 2018 vom Bürgermeister ins Leben gerufen wurde, um den Tourismus ausgewogener und verantwortungsvoller zu gestalten. „Wenn eine große Krise wie diese einmal eintritt, kann sie zu zwei Situationen führen", sagt Vlasic, „entweder die Menschen kämpfen darum, sich wirtschaftlich zu erholen und um jeden Preis zur Normalität zurückzukehren, oder sie arbeiten schrittweise daran, nach und nach wieder auf die Beine zu kommen, um am Ende besser dazustehen als zuvor", so Vlasic. Beide Städte tun das Letztere, und das Programm URBACT wird sie und kleinere Städte in ähnlichen Situationen weiterhin unterstützen.
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