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Die Verwaltung als Ursprung kreativer Problemlösung? - Ein Bericht vom Creative Bureaucracy Festival

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28 September 2018
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Am 7. und 8. September 2018 kamen in den Räumen der Humboldt-Universität zu Berlin über 1.200 nationale und internationale Theoretiker und Praktiker der kommunalen, regionalen und nationalen Verwaltung zusammen, um die eigene Innovationsfähigkeit zu hinterfragen und zu schärfen. Auch die Nationale URBACT-Informationsstelle war bei der vom Tagesspiegel und der Humboldt-Universität initiierten Veranstaltung als Netzwerkpartner vertreten. Nun blicken wir mit spannenden Eindrücken und zahlreichen Good-Practice-Beispielen im Gepäck auf die Veranstaltung zurück.

Eine innovative Verwaltung birgt großes Potential

Beim ersten Creative Bureaucracy Festival (CBF) stellten Veranstalter und Teilnehmer aus der ganzen Welt die Verwaltung in den Mittelpunkt von proaktivem Handeln. Sie proklamierten damit eine Rollendefinition der Bürokratie, die weit über das bloße „Verwalten“ im Wordsinne hinausgeht. Innovation in der Verwaltung sei einer der „wirksamsten Hebel, um die Welt zu verbessern“, warfen die Initiatoren des Festivals, Charles Landry, Autor des Buches The Creative Bureaucracy und Sebastian Turner, Herausgeber des Tagesspiegels, optimistisch in den Raum. Bereits bei den Begrüßungsworten am Morgen des ersten Festivaltags wurde deutlich, welche großen Potenziale die Initiatoren und Redner in der Verwaltung sehen und welche Erwartungen sie daraus an eine innovative Verwaltung ableiten. So betonte Berlins regierender Bürgermeister Michael Müller die Bedeutung der Verwaltung als konstante Kompetenz- und Wissensbasis seiner Stadt. Im grenzüberschreitenden Austausch von Stadtverwaltungen liege allerdings noch ein großes, bislang nicht ausgeschöpftes Potential, das konsequenter aktiviert werden müsse. „Kein Problem ist einzigartig und selten muss etwas neu erfunden werden, wenn man nur über den Tellerrand hinausschaut“, sagte Bürgermeister Müller und brachte unter anderem internationale Austauschprogramme zwischen Angestellten von Stadtverwaltungen ins Spiel. Darüber hinaus warb er in „Berlins größtem Bewerbungsgespräch“ aktiv für die Stadt Berlin als Arbeitgeber. Denn die Basis einer kreativen Verwaltung seien kreative und qualifizierte Köpfe.

Auch Charles Landry sieht viel Potential und Talent in der Verwaltung, das nur entfesselt werden müsse. Dazu brauche der kreative Bürokrat „Visionen, Ambitionen, ethnische Prinzipien und muss vor allem offen sein für die sich wandelnde Welt um ihn herum“. Darüber hinaus fügte Sebastian Turner an, dass das CBF auch dem Zweck diene, die Verwaltung kommunikativ endlich in ein neues, besseres Licht zu stellen.

Zusammenarbeit mit anderen Behörden und Verwaltungsebenen entscheidend

Insgesamt verstetigte sich in den Begrüßungsworten sowie in den darauffolgenden Diskussionen, Vorträgen und Workshops – die zum Teil in acht verschiedenen Räumen parallel abgehalten wurden – immer wieder eine zentrale Botschaft: Horizontale Kooperation mit anderen Behörden der gleichen Ebene sowie vertikale Kooperation zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen steigern die Problemlösungskompetenz immens. Folglich ist die Intention des CBF auch, gute Praktiken auszutauschen und die vielen weltweit existierenden guten Beispiele in Umlauf zu bringen. Ganz praktisch und über Staatsgrenzen hinweg geschah das zum Beispiel in der Podiumsdiskussion Urban Transformation.

Valencia: Bürgerdenkfabrik ermöglicht bessere Identifikaiton mit Hafengebiet

Hier zeigte Ramon Marrades, wie es Valencia gelang, ein altes Hafengebiet zu revitalisieren, das zuvor nur für massiv fehlgeplante Prestigeprojekte wie eine Formel 1 Rennstrecke und eine mehrtägige Segelregatta genutzt wurde. Laut Marrades war der Schlüssel zum Erfolg, emotionale Barrieren abzubauen und wieder eine Identifikation der Bürger mit dem neuen Hafen zu ermöglichen. Insbesondere eine Bürgerdenkfabrik und ein Fokus auf kulturelle Angebote mit Bezug zur historischen Vornutzung sorgten dafür, dass es nach zwei Jahren fast dreimal mehr Nutzer des Geländes gibt als zuvor. Konkret dazu beigetragen habe zum Beispiel auch, dass die Bevölkerung über Namen für Straßen und Plätze abstimmen durfte.

Bergen: Verwaltungszusammenarbeit trägt zur Bergrettung Jugendlicher bei

Ein weiteres Bespiel guter Praxis wurde von Robert Rastad aus dem norwegischen Bergen vorgestellt. Die Stadt war Ausrichter der Rad-Weltmeisterschaft 2017 und stand vor großen organisatorischen Herausforderungen: Sie musste die nötige Versorgungs- und Sicherheitsinfrastruktur bereitstellen, während gleichzeitig große Teile der Innenstadt gesperrt waren. Mithilfe eines sogenannten Public Cluster konnte das Sportevent jedoch reibungslos ablaufen: Dabei arbeiteten Vertreter aller relevanten Verwaltungssektoren über die Dauer der gesamten Veranstaltung hinweg in einer zentralen Kommunikations- und Koordinierungsstelle zusammen. Wie hilfreich der direkte Draht zwischen den verschiedenen Behörden war, veranschaulicht ein Notruf, der während des Radrennens in der Koordinierungszentrale einging: Eine Gruppe Jugendlicher hatte sich beim Wandern verirrt und der Einsatzkoordinator der Bergrettung wollte bereits einen umfassenden Suchtrupp losschicken. Gleichzeitig war aber auch ein Vertreter des städtischen Energieversorgers als Teil des Public Clusters in der Zentrale anwesend. Er verwies darauf, dass alle Strommasten mit einer individuellen Seriennummer gekennzeichnet sind. Da die Jugendlichen eine Stromleitung in der Nähe sahen, konnte ihr Standort sofort ausgemacht werden und es wurden gezielt Einsatzkräfte geschickt – ein anschauliches Beispiel dafür, wie scheinbar banales Wissen große Wirkung entfalten kann, wenn es mit Fachfremden geteilt wird.    

Aus Fehlern lernen: „Fuck up Night“

Klar: Kommunen und Behörden lernen von den guten Beispielen und den Stärken anderer. Sie profitieren von diesem Austausch und steigern ihre eigene Problemlösungskompetenz. Doch das ist längst nicht alles. Oft wird vergessen, dass gerade auch das Scheitern eine wichtige Komponente der Zusammenarbeit ist: Wir lernen aus den Fehlern anderer und müssen sie in der Folge nicht selbst machen, um zu besseren Ansätzen zu kommen. Beim Festival wurde dem mit einer sogenannten „Fuck Up Night“ Rechnung getragen. Dort wurden der Flughafen BER, die elektronische Gesundheitskarte und das Berliner Lageso inklusive der bürokratischen Fehlleistungen vorgestellt und analysiert, um zukünftig aus ihnen zu lernen.

Gute Beispiele entwickeln sich oft aus vorangegangenen Fehlern und Krisen

Hinzu kommt, dass sich auch die Best-Practices wie in Valencia oder Bergen zumeist aus Ausnahmesituationen heraus entwickeln. So wurde in Valencia auf gescheiterte Prestigeprojekte reagiert, während in Bergen die Ausnahmesituation eines internationalen Großevents zum Handeln zwang. Das spricht letztlich doch für eine sehr reaktive und weniger proaktive Verwaltung. Entscheidend ist folglich – und das betonten sowohl Robert Rastad als auch Ramon Marrades –, dass Verwaltungen aus den in Ausnahmesituationen gewonnenen Erkenntnissen lernen und es schaffen, diese in die bestehenden Strukturen und in den Alltag einfließen zu lassen. Sichtbar ist solch ein langfristiger Effekt zum Beispiel in Bergen. Dort baut die Stadt zurzeit ein Public Cluster in kleinerem Rahmen auf, allerdings für die gesamte Region. So möchten Stadt und Umland auch im Alltag vom Informationsaustausch zwischen zentralen Behörden profitieren.

Genau zu diesem Aufbau von Strukturen der Zusammenarbeit und zum Transfer guter Beispiele in den Alltag der Bürokratie wollte das CBF beitragen – und das ist der eindrucksvollen Veranstaltung auch gelungen. Die zwei Tage des intensiven Austauschs in Berlin gaben der kreativen Verwaltung eine Bühne, die sie zu selten bekommt. Deshalb freuen wir uns schon auf das zweite Creative Bureaucracy Festival im Jahr 2019. 

© Fotos: Hauke Meyer - DV