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Nachhaltiger Städtetourismus im postpandemischen Europa

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01 December 2021
Read time: 4 minutes

URBACT-Städte leisten Beitrag zu einer EU-Studie zur besseren Regulierung für kurzfristige Ferienvermietung, die demnächst erscheinen wird.

Während der Tourismus wieder hochfährt, unterstützt eine Gruppe von URBACT-Städten die Bemühungen um eine bessere Regulierung der kurzfristigen Vermietung von Wohnraum für touristische Zwecke in der EU. Ihre Erfahrungen werden in eine Studie über nachhaltigen Tourismus für die Städtepartnerschaft für Kultur und kulturelles Erbe im Rahmen der Urbanen Agenda für die EU einfließen, die in Kürze veröffentlicht wird. Laura Colini, URBACT-Programmexpertin, und Ugo Rossi vom Grand Sasso Science Institute (IT) teilen in diesem Artikel ihre Erkenntnisse hierzu.

Bereits vor dem Ausbruch der Pandemie stand der Städtetourismus im Fokus heftiger Nachhaltigkeitsdebatten. Für die Zeit nach der Pandemie ergibt sich nun die einzigartige Gelegenheit für eine tiefgreifende Reform der bestehenden wirtschaftlichen Entwicklungsmuster und ihrer umstrittensten Erscheinungsformen mit Blick auf Kurzzeitvermietungen und Umnutzungen von vorherigem Wohnraum in bereits angespannten Wohnungsmärkten.

Dieser Artikel stellt eine laufende Studie im Rahmen der Städtepartnerschaft für Kultur und kulturelles Erbe der Urbanen Agenda für die EU zum Thema nachhaltiger Tourismus vor. Ziel der Studie ist, mit städtischen Entscheidungsträger:innen einen innovativen Ansatz für die Regulierung des Kurzzeitvermietungssektors zu diskutieren, der vorläufig auf einer Drei-Punkte-Strategie basiert: Vorbereiten, Bewahren, Plattformen schaffen (Prepare, Preserve, Platformise). Vorbereiten bedeutet, mit den lokalen Akteuren zusammenzuarbeiten, um dem existenziellen Risiko des Hypertourismus vorzubeugen. Bewahren bedeutet, auch durch regulative Eingriffe die Quartiere und ihre Bewohner:innen zu schützen, die besonders dem Risiko des „Hypertourismus“ und daraus folgender Verdrängung ausgesetzt sind. Plattformen schaffen bedeutet, gemeinschaftlich betriebene, alternative Kurzzeitvermietungsplattformen mit lokal bestimmten Standards zu erproben.

Die Studie wird in Zusammenarbeit mit verschiedenen URBACT-Städten durchgeführt, darunter jene, die an den Netzwerken TOURISM-FRIENDLY CITIES und KAIRÓS beteiligt sind. Neun Städte in verschiedenen Teilen Europas wurden befragt: fünf Kleinstädte, Cáceres (ES), Druskininkai (LT), Dubrovnik (HR), Dún Laoghaire (IE) und Rovaniemi (FI); drei mittelgroße Städte, Braga (PT), Florenz (IT) und Krakau (PL); und eine große Hauptstadt, Berlin (DE). URBACT hat die Endergebnisse am 4. November 2021 in einem für alle offenen Webinar mit Referent:innen aus Städten, Forschungsinstituten sowie der Europäischen Kommission präsentiert.

Das Risiko des Hypertourismus

In den letzten zehn Jahren hat sich der Städtetourismus für immer mehr Städte und städtische Gebiete durch ein unreguliertes Gastgewerbe zu einer potenziell existenziellen Bedrohung für manche bestehende soziale, ökonomische, städtebauliche oder ökologische Strukturen entwickelt. Früher betraf das Risiko des Hypertourismus nur eine Reihe kleiner und mittelgroßer Städte, beispielsweise solche, die von der UNESCO für ihre Altstädte ausgezeichnet wurden (z.B. Venedig, Dubrovnik, Rhodos, Plovdiv, Granada). Mit dem Aufkommen der plattformvermittelten Kurzzeitvermietung (Short-Term Rentals, STR) hat sich dieses Risiko jedoch verallgemeinert und betrifft inzwischen alle Arten von Städten.

In den letzten Jahren haben die lokalen Behörden auf eine aktive, mehr oder weniger strenge Regulierung der kurzfristigen Ferienvermietung zurückgegriffen, wenn die übermäßige touristische Nachfrage die Anwohnenden und das städtische Sozialgefüge negativ beeinflusst hat. Die Vorschriften wurden in der Regel reaktiv erlassen, nachdem die Beliebtheit von Städten und anderen Reisezielen ihren Höhepunkt erreicht hatte und in einigen Fällen bereits deren ökologische Tragfähigkeit überschritten wurde. Die Wirkung der Regulierungsinitiativen war aus unterschiedlichen Gründen begrenzt. Darüber hinaus scheinen die bestehenden Regulierungsinitiativen ortsspezifisch zu sein: Sie sind lokal fragmentiert und werden nicht immer von übergeordneten Regierungen unterstützt.

Die Pandemie als "Game Changer"

Die während der Pandemie verhängten Beschränkungen hatten dramatische Auswirkungen auf Städte und insbesondere deren dienstleistungsorientierte Wirtschaft, angefangen bei der Kultur- und Unterhaltungsbranche. Museen, Theater, Restaurants und Bars litten stark unter den Schließungen und haben nun Mühe, sich nach der Wiedereröffnung zu erholen. Darüber hinaus hat die Verbreitung der Heimarbeit vielen Geschäftsvierteln und dem Einzelhandel im Allgemeinen einen fast tödlichen Schlag versetzt, der zur Schließung vieler kleiner Geschäfte führte und gleichzeitig die Ausweitung der Lieferdienste von Online-Handelsriesen und multinationalen Handelsketten begünstigte.

In der nördlichen Hemisphäre kehrte der Städtetourismus im Sommer 2021 teilweise zur "Normalität" zurück. Der plötzliche Neustart des Tourismus und der Unterhaltungswirtschaft im Allgemeinen erhöhte jedoch das Risiko von Überlastungen in städtischen Gebieten, die natürliche Vorzüge wie Zugang zum Meer, zu Seen oder zu den Bergen bieten. Andererseits verschärft die anhaltende Ungewissheit über die Entwicklung der Pandemie die Krise in den Städten, deren Wirtschaft sich um die jetzt ruhigen Büro- und Vergnügungsviertel entwickelt hat.

Herausforderungen und Chancen des postpandemischen Wandels

Trotz aller gegenwärtigen Ambivalenzen bietet die Zeit  nach der Pandemie eine einzigartige Gelegenheit, mit dem Wandel zur Nachhaltigkeit im Tourismussektor zu experimentieren. Aus diesem Grund ist es wichtig und notwendig, über einen innovativen Ansatz für die Regulierung der Kurzzeitvermietung für Tourist:innen und andere vorübergehende Besucher:innen nachzudenken.

Es laufen bereits entscheidende Entwicklungen in diese Richtung. Die Europäische Kommission hat vor kurzem die Initiative „Tourismusleistungen – Initiative zu kurzfristigen Vermietungen“ (Tourist services – short-term rental initiative) gestartet, die Städte und Bürger:innen einbezieht, um ein "verantwortungsvolles, faires und vertrauenswürdiges Wachstum der Kurzzeitvermietung als Teil eines ausgewogenen touristischen Ökosystems" zu entwickeln.

Die lokale Ebene ist entscheidend für die erfolgreiche Regulierung des Städtetourismus. Daher sind wir der Meinung, dass eine innovative Regulierungsstrategie, die sich auf einen gemischten, verordnenden und proaktiven Ansatz für die öffentliche Politik stützt, ein breites Spektrum an Mitgestaltungstechniken und partizipatorischen Methoden beinhalten muss – so wie es auch URBACT in seinen Städtenetzwerken umsetzt. Die URBACT-Methode wird hier angewandt, um eine stärkere Verantwortlichkeit lokaler Gemeinschaften für das städtische Tourismusmanagement zu erreichen. 

Urbane-Agenda-Studie zur Erprobung lokal und gemeinschaftlich geführter Vermietungsplattformen

Die Studie im Rahmen der Urbanen Agenda für die EU (UA) stützt sich auf den URBACT-Ansatz, bei dem lokale Praktiken und Erfahrungen bei der Steuerung von Tourismusströmen und deren Auswirkungen vor Ort beobachtet werden. Anhand einer Umfrage, die unter den Städten der Netzwerke TOURISM-FRIENDLY CITIES und KAIRÓS sowie den Städten der entsprechenden Partnerschaft der Urbanen Agenda durchgeführt wurde, wird die Studie Strategien für ein ortsbezogenes, gemeinschaftlich geführtes Management des Kurzzeitunterkunftssektors bewerten und testen. Die ausgewählten Städte repräsentieren unterschiedliche Arten des Städtetourismus: Während einige das kritische Stadium im Städtetourismus noch nicht erreicht haben, sind andere bereits an dem Punkt, stärker und weitreichender in die Eingrenzung der Risiken eines unregulierten Marktes für kurzfristige Ferienunterkünfte zu investieren.

Die portugiesische Stadt Braga erwägt zur Bewältigung der Tourismuswelle Strategien, um die vorübergehende Anwesenheit von Tourist:innen besser mit den Einwohner:innen und deren Leben in Einklang zu bringen. Die spanische Stadt Cáceres verfolgt einen selektiven Ansatz bei der Kurzzeitvermietung, da die regionale Gesetzgebung die Kontrolle bei der Vermietung von touristischen Wohnungen ermöglicht. Gemeinsam mit Braga und Cáceres bemüht sich die polnische Stadt Krakau im Rahmen des Netzwerks TOURISM-FRIENDLY CITIES um eine nachhaltige Bleibeperspektive der Langzeitbewohner:innen in historischen Stadtzentren.

Die UA-Studie testet das Interesse und die Bereitschaft der ausgewählten Städte, mit lokal verwalteten, gemeinschaftlich geführten Mietplattformen zu experimentieren. Die folgenden drei Grundsätze stehen im Mittelpunkt dieser Untersuchungen:

  • Vorausschauende Planung: In der Tourismuspolitik zielt ein vorausschauender Ansatz darauf ab, die Reproduktion eines systemischen Risikos wie des Hypertourismus nach einem störenden Ereignis wie der Corona-Pandemie zu verhindern;
  • Engagement für die Gemeinschaft: Zur Förderung des Zugehörigkeitsgefühls zur lokalen Gemeinschaft wird ein Tourismusansatz verfolgt, der die Bedürfnisse der Gemeinschaft in den Mittelpunkt lokalpolitischer Strategien stellt, die auf wirtschaftliche Diversifizierung und nachhaltigen städtischen Wandel ausgerichtet sind;
  • Stärkung der Kommunen: Ein gemeinschaftsorientierter Tourismus erfordert eine neue institutionelle Strategie, die sich auf eine kommunale Handlungsfähigkeit stützt. Die lokale Ebene ist nicht nur im Hinblick auf die gesellschaftlichen Auswirkungen und die Umsetzung der Politik von entscheidender Bedeutung, sondern auch im Hinblick auf die institutionelle Stärkung lokaler Gemeinschaften. 

Abschließende Bemerkungen

Der abrupte Stillstand des Tourismus während der Pandemie hat es der Öffentlichkeit ermöglicht, eine kritische Distanz zu den aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungsmustern und Tourismustrends zu entwickeln, die wir heute als „normal“ erachten, einschließlich des Städtetourismus – und insbesondere des plattformvermittelten Gastgewerbes.

Die UA steht vor der Herausforderung, die Vielfalt der lokalen Gegebenheiten und Standpunkte zum Städtetourismus aufzugreifen sowie die Gelegenheit zu nutzen, das kommunale Management von Kurzzeitvermietungen in einem neuen Licht zu betrachten, während sich der Tourismussektor von der Coronakrise erholt. Ziel ist es, URBACT und den UA-Partnerstädten bei der Gestaltung besserer künftiger Regelungen für den Sektor der Kurzzeitvermietung in der EU eine Stimme zu verleihen. Dies wird im Rahmen der Urbanen Agenda für die EU sicher aufgegriffen. Denn das erst kürzlich unter slowenischer EU-Ratspräsidentschaft von den für Stadtentwicklung verantwortlichen Minister:innen verabschiedete Ljubljana-Agreement sieht für „Nachhaltigen Tourismus“ eine neue Städtepartnerschaft vor.

Weitere Information zum Thema (in englischer Sprache):

Der Artikel basiert zum größten Teil auf einem aus dem Englischen übersetzten Artikel. Übersetzt von Maximiliane Elspaß. Link zum Original-Artikel von Laura Colini, URBACT Programme Expert, und Ugo Rossi, Grand Sasso Science Institute (IT): https://urbact.eu/how-make-urban-tourism-more-sustainable-post-covid-europe