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Investieren in eine bessere Zukunft

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14 February 2019
Read time: 4 minutes

Matthew Baqueriza-Jackson war Lead Experte für das URBACT-Aktionsplanungsnetzwerk Procure und ist aktuell Netzwerkexperte beim Transfernetzwerk Making Spend Matter. Er repräsentiert URBACT bei der Partnerschaft zu innovativem und sozialverantwortlichem  Beschaffungswesen im Rahmen der Städtischen Agenda der EU und ist überzeugt, dass es bei der Art und Weise, wie Städte Waren und Dienstleistungen einkaufen, viel Potential für eine bessere ökonomische, soziale und ökologische Zukunft gibt.

 

 

Die englische Originalfassung dieses Artikels von Matthew Jackson finden Sie hier.

 

Im Rahmen des URBACT City Festivals 2018, beschäftigte sich das Lab  „Buying a Better Future“  mit Vergabeprozessen und insbesondere mit den Ergebnissen und Aktivitäten des URBACT-Aktionsplanungsnetzwerks Procure. In dem Netzwerk nahmen elf Partnerstädte ihre Einkaufs- und Vergabeprozesse unter die Lupe und suchten nach Optimierungsmöglichkeiten.

Vergabeverfahren gelten vielen als sehr bürokratisch, technisch und langweilig. Die Arbeit in Procure sollte die umfassenden Potentiale zeigen, die in der Ausgestaltung von Vergabeverfahren stecken und sie zu einem spannenden und wesentlichen Hebel im Umgang mit ökonomischen, sozialen, technischen und ökologischen Herausforderungen machen. Im Verlauf der letzten zweieinhalb Jahre haben die Netzwerkpartner erkannt, dass Veränderungen rund um die Organisation von Vergabeverfahren unabhängig von unterschiedlichen politischen und strategischen Kontexten möglich sind.

 

Bewusstes Einkaufen

Die wichtigste Erkenntnis aus der Netzwerkarbeit war, dass ein Vergabeprozess nicht nur als ein einfacher monetärer Transaktionsprozess betrachtet werden sollte. Stattdessen bildet er ein eigenes Kreislaufsystem, bei dem auch soziale und ökologische Überlegungen und Wechselwirkungen bei jedem Abschnitt des Prozesses mitgedacht werden sollten. Zunächst müssen Städte die Transaktionswege ihrer Vergabemittel detailliert nachvollziehen. Anschließend können sie Bereiche ausmachen, bei denen Vergabeaktivitäten potentiell vorteilhaft sind. Diese Analysen müssen wiederum bei der Entwicklung neuer Leistungen mit einfließen. Die Städte müssen jederzeit Fragen zu Kosten und Qualität berücksichtigen und schließlich auch den Beitrag, den externe Dienstleister mit ihren Waren und Dienstleistungen leisten, durch ein Monitoring beobachten.

 

Die Netzwerkpartner in Procure denken mittlerweile auf diese prozessuale Art, wenn sie Waren und Dienstleistungen einkaufen und der Vergabekreislauf ist Teil ihres nachhaltigen Stadtentwicklungskonzepts. Im Lab beim URBACT City Festival sollte dieses Wissen einem breiteren Publikum städtischer Akteure zugänglich gemacht werden. Die sehr interaktiv gestaltete Sitzung bestand aus Trainingseinheiten über den Vergabekreislauf mit seinen oben genannten Schritten sowie aus Kurzbeiträgen der Netzwerkpartner und Übungen zu jedem Schritt.

 

Im Lab wurde anhand der fiktiven mittelgroßen Stadt „Socialville“ diskutiert, die mit einer großen Bandbreite an ökonomischen, sozialen und ökologischen Herausforderungen konfrontiert ist. Sie weist eine hohe Arbeitslosenzahl auf – vor allem unter jungen Menschen. Des Weiteren plagen Socialville eine schlechte Luftqualität und hohe Emissionswerte;  zudem ist die Auftragslage der kleinen und mittleren Unternehmen in der Stadt – insbesondere im Bausektor – nicht gut. Die Gesamtausgaben für Vergaben im letzten Jahr lagen bei 50 Millionen Euro und für den nächsten Haushalt sollen insbesondere drei neue Vergaben zu Buche schlagen: Der Bau einer neuen Schule, eine neue Müllabfuhrflotte und ein neuer Seniorenpflegedienst.

 

Am Anfang des Labs wurde schnell klar, dass viele der Teilnehmenden noch nie wirklich über die strategischen Spielräume bei Vergabeprozessen nachgedacht hatten und nicht davon ausgingen, dass hier Hebel zu positiven ökonomischen, sozialen und ökologischen Veränderungen zu finden sein. Dies zu ändern, war das Ziel der Sitzung.

 

 

 

Schritt für Schritt

 

Ausgaben:

Der erste Teil konzentrierte sich auf das Instrument der Ausgabenanalyse. Es steht am Anfang des Vergabekreislaufs und die Procure-Netzwerkpartner haben es genutzt, um nachzuverfolgen,  wie sich ihre Vergabeausgaben zum Beispiel geographisch und sektoral aufteilen. Die ungarische Stadt Nagykallo identifizierte mit diesem Instrument, welcher Anteil der Mittel an lokale Organisationen gingen und wie diese verstärkt zur Teilnahme an Vergabeprozessen motiviert werden können. Auch im Lab und am Beispiel von Socialville wurde eine solche Ausgabenanalyse gemacht.

 

Ziele:

Im zweiten Teil der Sitzung standen die möglichen Ziele von Vergabeprozessen und deren Verknüpfung mit den Prozessen im Mittelpunkt. Die meisten Städte haben zwar eine ökonomische oder grundsätzliche städtische Strategie, die zum Beispiel auf die Reduzierung von Arbeitslosigkeit oder auf Fortbildungsmaßnahmen abzielt. Diese Strategie spiegelt sich aber nur bei wenigen in einem ökologischen und sozialen Rahmenwerk für Vergabeprozesse wider.

Die Metropolregion Bologna in Italien nutzt den Prozess der Vergabe als Mittel zur Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen der Stadt und adressiert damit auch ökologische Herausforderungen - zum Beispiel kurze Transportwege und regionale Wertschöpfungsketten. Die Teilnehmer des Labs beim URBACT City Festival entwickelten Ziele für Socialville und analysierten und diskutierten zusammen, wie auch die Herausforderungen der fiktiven Stadt  durch die Vergabeprozesse angesprochen werden können.

 

Vergabegestaltung:

Beim dritten Teil des Labs wurden die letztlichen Vergabebausteine genauer betrachtet, also die konkrete Ausgestaltung der vergebenen Waren und Dienstleistungen. Diese Stelle des Prozesses bietet den größten Spielraum, soziale und ökologische Auswirkungen einer Vergabe mitzudenken und zu beeinflussen. Zu diesem Zeitpunkt können Städte auch Mithilfe von Vorvergabeaktivitäten gestalterisch tätig werden. Zum Beispiel hat sich die polnische Stadt Lublin umfassend mit den Innovationsmöglichkeiten der Vergabe beschäftigt und an einer marktorientierten Herangehensweise zur Gestaltung der Sozialfürsorge gearbeitet. Im Lab haben die Teilnehmenden wiederum die zuvor ausgemachten direkten und abstrakteren Ziele von Socialville mit den drei größeren Verträgen verknüpft, die die Stadt vergeben wollte.

 

Ausschreibung:

Der vierte Teil des Labs widmete sich der Ausschreibung  von Waren und Dienstleistungen und wie diese die Anbieter hinsichtlich der sozialen und ökologischen Ziele der Stadt motivieren und verpflichten kann.

Die polnische Stadt Koszalin  fragt  zum Beispiel seit Jahren  in ihren Ausschreibungen neben preislichen Kriterien auch solche ab, die den sozialen und ökologischen Zielen der Stadt förderlich sind. Auch die Teilnehmenden des Labs entwarfen Fragestellungen und Kriterien für die Ausschreibungen der Stadt Socialville, die den zuvor entwickelten und diskutierten Zielen auf möglichst vielen Ebenen Rechnung trugen.

 

Entscheidungsfindung:

Der fünfte Arbeitsteil behandelte den Entscheidungsprozess und die Kriterien, die letztlich den Ausschlag geben, wer den Zuschlag bekommt. Städte  evaluieren Anträge der Anbieter hinsichtlich der Berücksichtigung von sozialen und ökologischen Anforderungen hauptsächlich quantitativ, qualitativ oder auf der Basis von "Bestanden - Nicht bestanden".  Dass es jedoch noch weitere Methoden zur Evaluierung, gibt zeigt die englische Stadt Preston und erklärte den Teilnehmenden des Labs, wie sie bei den Vergabekriterien auch auf Werte und Glaubwürdigkeit setzt und diese in die Evaluierung mit einfließen lässt. Mit diesen Anregungen arbeiteten auch die fiktiven Verantwortlichen von Socialville zusammen, um Vergabekriterien entsprechend ihrer Ziele und Ausschreibungsanforderungen zu entwickeln.

 

Monitoring:

Beim sechsten Arbeitsabschnitt der Sitzung ging es um das Monitoring. Dieser Abschnitt des Vergabekreislaufs wird zurzeit noch von vielen Städten vernachlässigt. Zu wenige Städte in Europa überprüfen die sozialen und ökologischen Folgen ihrer Vergaben. Dies ist jedoch die Voraussetzung, wenn man die Anbieter und Dienstleister zu mehr sozialer und ökologischer Verantwortung und zu den entsprechend festgelegten Vergabezielen verpflichten will.

 

 

Die Ergebnisse des Labs für die Stadt „Socialville“

Jede der teilnehmenden Gruppen des Labs hatte die Möglichkeit, die erarbeiteten Ergebnisse aus den Diskussionen zu den sechs Arbeitsschritten des Vergabekreislaufs für die Stadt „Socialville“ zu präsentieren und ihre Lernfortschritte zu reflektieren. Im Lab wurden dabei neun Erkenntnisse identifiziert:

 

  1. Die Erfahrung der Städte mit Vergabeprozessen variiert. Einige konzentrieren sich weiterhin auf den Preis als wichtigstes Vergabekriterium.
  2. Es ist wichtig, dass Städte die richtigen Fragen zu sozialen und ökologischen Auswirkungen stellen.
  3. Städte müssen überlegen, wie der Vergabeprozess sowohl mit ökonomischen als auch sozialen und ökologischen Herausforderungen umgehen kann.
  4. Vergabeprozesse ermöglichen vielfältige Mehrwerte – es geht nicht nur um den Einkauf von Waren oder Dienstleistungen.
  5. Vergabeprozesse sind aufregend – sie haben zwar technische und teils langweilige Komponenten, aber sie können auch strategisch eingesetzt werden.
  6. Städte müssen erkennen, dass sie mit der Vergabe sowie mit deren Ankündigung Einfluss auf den Markt haben und damit über einen Hebel verfügen, Innovation und Kooperation zu fördern.
  7. Städte müssen ein besseres Monitoring der Vergabeauswirkungen hinsichtlich sozialer und ökologischer Kriterien durchführen.
  8. Ein entscheidender Startpunkt für den Vergabekreislauf, und damit auch die Basis für Veränderungen, sind umfassende Ausgabeanalysen.
  9. Die Methode des Aktionsplanungsnetzwerks Procure kann weitere Städte dazu anregen, ihre Vergabeprozesse zu überdenken.

Das Lab im Rahmen des URBACT City Festivals bekräftigte die zunehmende Bedeutung der öffentlichen Vergabe als ein städtisches Handlungsfeld. Die Art und Weise, wie Städte Waren und Dienstleistungen erwerben, kann sich positiv auf viele verschiedene ökonomische, soziale und ökologische Bereiche auswirken. Städte müssen jedoch den Prozess der Vergabe als Kreislauf betrachten und ihre Entscheidungen immer in den Kontext eines größeren Prozesses integrieren.

 

Die in Procure involvierten Städte sind Vorreiter im Gebiet der neuen Herangehensweise an öffentliche Vergabeprozesse. Nun muss die Idee des Vergabekreislaufs sich weiter verbreiten. Hierzu sollen zum Beispiel das URBACT-Transfernetzwerk „Making Spend Matter“ und die Partnerschaft zu innovativem und sozialverantwortlichem Beschaffungswesen im Rahmen der Städtischen Agenda der EU ("Urban Agenda for the EU") beitragen.

 

 

Bildmaterial: © URBACT