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Gemeinwohl bottom-up gestalten – was kann die Kommune beitragen?

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14 October 2021
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Welche Mechanismen helfen den städtischen Verwaltungen, besser mit den Bürgerinnen und Bürgern zusammenzuarbeiten? Vier URBACT-Städte teilen ihre Erfahrungen mit der Gestaltung und Verwaltung von sogenannten „Commons“.

Kreative Gruppen und Ehrenamtliche leisten seit langem einen großen Beitrag zur Belebung von Städten: Gruppen von engagierten Bürger:innen helfen dabei städtische Räume, Gebäude, Initiativen oder Dienstleistungen zu verbessern und sie der Nachbarschaft zur Verfügung zu stellen und so auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Dieses lokale Engagement und Wissen sollten die Kommune und die öffentliche Daseinsvorsorge aufgreifen und Engagierte mehr beteiligen. Neapel in Italien hat beispielsweise ein Modell eingeführt, das Bürger:innen ermöglicht, öffentliches Eigentum als „Gemeingüter“ zu verwalten. Dieser Ansatz wurde über das Civic eState-Netzwerk auf sechs weitere EU-Städte übertragen. Die gemeinschaftliche Verwaltung öffentlichen Eigentums, auch mit dem Begriff „Urban Commons“ umschrieben, stand auch im Mittelpunkt einer kürzlichen Session des URBACT City Festivals mit dem Titel „Governing commons, is it even possible?“. Die URBACT-Expertin Liat Rogel berichtet im Folgenden von der Veranstaltung.

Im Kontext von „Urban Commons“ wird die Stadt als „eine große Infrastruktur gesehen, die von Bürger:innen mit unterschiedlichem sozialen Hintergründen genutzt und optimiert wird“, erklärte Christian Iaione, URBACT Lead Expert für das Civic eState-Netzwerk. Hierzu gehören Orte und Räume genauso wie gebaute Infrastruktur oder Dienstleistungen. Soll eine attraktive Infrastruktur im Sinne der „Urban Commons“ entstehen, die Ideen und Engagement der Bürger:innen aufnimmt, muss die öffentliche Verwaltung zunächst die Vorteile erkennen, die sich aus einer solchen Zusammenarbeit ergeben können. Zweitens sollte sie mit neuen Instrumente und Maßnahmen die Bürger:innen ermächtigen und befähigen, ihre Ideen zu verwirklichen.

Außerdem müssen sich die beteiligten Akteure, einschließlich Nichtregierungsorganisationen und offizieller und informeller Gruppen, als Kooperationspartner und Teil einer gemeinsamen Bewegung verstehen, die das Gemeinwohl fördert. Im Sinne der „Urban Commons“ gemeinschaftlich zu gestalten und zu verwalten heißt, den richtigen Weg zu finden um etwas so Dynamisches, Spontanes und Unbeständiges wie eine kreative Gemeinschaft zu ermöglichen und zu lenken. Aber funktioniert das überhaupt? Kann eine Stadt „Commons“ mitgestalten und lenken, ohne die beteiligten Gruppierungen von zivilgesellschaftlichen Akteur:innen zu sehr zu beeinflussen und einzuschränken? Das sind einige der Schlüsselfragen, mit denen sich die Städte Amsterdam und Danzig aus dem Civic eState-Netzwerk und die Stadt Turin aus dem CO4CITIES-Netzwerk auf dem URBACT-Festival auseinandersetzten.

Amsterdam erkennt die „Commons“-Bewegung an

Laut Nathalie van Loon, „Commons“-Koordinatorin der Stadt Amsterdam, beginnt die Arbeit an „Commons“ oft mit Anerkennung und Identität. Sie führt aus: „In Amsterdam gibt es eine sehr alte Tradition von ‚Commons‘ in der Praxis. Die Bürger:innenbeteiligung ist Teil der Stadtentwicklung, und die Menschen sind es gewohnt sich zu engagieren, sei es für ihr Recht zu protestieren, neue Lösungen vorzuschlagen oder einen Konsens zu finden. Der Begriff ‚Commons‘ ist allerdings offiziell noch nicht anerkannt und es gibt kein Gefühl für eine gemeinsame Identität zwischen den verschiedenen aktiven Akteuren, die ja auch als Bürger:innen agieren. Wir müssen ein neues Narrativ entwickeln und uns an eine weltweite Bewegung anpassen. Die Menschen erkennen sich selbst nicht als Teil der Bewegung".

Eine der Möglichkeiten ein Gemeinschaftsgefühl zu wecken und in den Dialog zu treten war die Erstellung eines „Commons“-Katalogs. „In Amsterdam haben wir Künstler:innen gebeten, einen Katalog für die Etablierung von „Commons“ in Amsterdam zu erstellen. Er erzählt die Geschichte der Mitglieder der Amsterdamer „Commons“-Bewegung, des Wandels der Stadt und gibt konkrete Beispiele, die zeigen wie sich Bürger:innen aktiv und selbstorganisiert für Themen im Bereich der Wohnraum- und Lebensmittelversorgung oder der Energiewende einsetzen. Wir haben jetzt ein Netzwerk von „Commoners“, und wir suchen nach Möglichkeiten, uns für die Rechte der Nachbarschaft einzusetzen. Auf jeden Fall werden wir dadurch aber besser zusammenarbeiten." Nathalie van Loon sieht weiter die Zusammenarbeit der Verwaltung mit der „Commons“-Bewegung als einen Weg, die Bewegung unter allen Beteiligten anzuerkennen und langfristig nachhaltig zu gestalten. Anstatt einer Zusammenarbeit zwischen privaten Institutionen und der öffentlichen Hand (engl. Public Private Partnership, PPP) soll so die „Public Common Partnership“ (PCP) gestärkt werden, bei der die Gestaltung noch ergebnisoffener in die Hände der Gemeinschaft gelegt wird.

Neapel: eine Stadt, die gezwungen wurde, über den Tellerrand zu schauen

In Neapel haben sich in den letzten zehn Jahren umfangreiche Instrumente und Methoden für urbane Gemeingüter entwickelt. Ihre Erfahrung im Umgang damit teilte die Stadt während des jüngsten URBACT-Transfernetzwerks Civic eState. Nicola Massella von der Stadt Neapel beschrieb, wie die Stadtverwaltung sich neue Ansätze und Instrumente einfallen lassen musste. Denn meist stellten die Bürger:innen und zivilgesellschaftliche Akteur:innen die Verwaltung vor vollendete Tatsachen. Sie eroberten sich verlassene öffentliche Räume zurück, besetzten sie und stellten sie dann den Bewohner:innen für neue Nutzungen und mit neuen Angeboten zur Verfügung. An diesen Orten fanden kulturelle Aktivitäten statt oder wurden sogar soziale Dienstleistungen angeboten. „Unser Umgang damit als Verwaltung wurde erst erarbeitet, nachdem diese Prozesse sich bereits entwickelten", sagt Nicola Massella. „Als öffentliche Bedienstete haben wir verstanden, dass wir die Zukunft eines Viertels nicht ohne die Zusammenarbeit mit den dort lebenden Menschen planen können. Wir waren gezwungen, aktiv zu werden. Wir waren natürlich an das Konzept einer Verwaltung gebunden, aber die Menschen zwangen uns, über den Tellerrand zu schauen.“

In Neapel basiert die Anerkennung von formellen und informellen Initiativen auf verfassungsmäßigen Kategorien. Die Initiative muss einen offenen Zugang ermöglichen und sozial integrativ und nicht diskriminierend sein. Wenn diese Grundsätze erfüllt sind, erkennt die Verwaltung die Zusammenarbeit an und stellt Dienstleistungen wie Wasser, Strom und andere kostengünstige Dienste zur Verfügung. Acht Räume in acht Stadtvierteln sind inzwischen auf diese Weise entstanden. Ob es sich um einen Park oder einen Strand handelt, diese Orte werden hauptsächlich für kulturelle Initiativen genutzt, die durch ihre Aktivitäten regionale Traditionen lebendig halten. Neben diesem „immateriellen“ Nutzen werden von den Engagierten auch soziale Infrastrukturen und Dienstleistungen geschaffen. Beispiele hierfür sind Räume für Jugendliche zum Lernen, Gemeinschaftsräume für ältere Menschen oder administrative Unterstützung für Migrant:innen. Diese Strukturen sind kostengünstig und auf Langfristigkeit angelegt. 

Turin: Experimentieren mit und Testen von Instrumenten in verschiedenen Kontexten

Das Umdenken ist auch ein zentrales Thema, wenn es um „Commons“ in Turin geht. „Durch das Experimentieren mit neuen Instrumenten wurde klar, dass dieser Wandel nicht nur innerhalb der Stadtverwaltung, sondern auch in den gemeinnützigen Organisationen vor Ort, die in der Regel Räume oder Dienstleistungen für die Gemeinschaft anbieten, notwendig ist“, sagte Giovanni Ferrero von der Stadt Turin. „Mit Co-City erprobten wir die Verwaltung der „Commons“ durch die Bürger:innen. In unserer Testphase hat die Stadt einen Kooperationsvertrag entwickelt, der auf ein gemeinschaftliches Betreibermodell ausgerichtet ist. Dies setzt ein Umdenken und eine neue Herangehensweise sowohl des öffentlichen als auch des dritten Sektors der nicht gewinnorientierten Organisationen voraus. Auf der einen Seite hat die Verwaltung eine autoritäre Rolle, die sich ändern muss; auf der anderen Seite sind die gemeinnützigen Organisationen und die Bürger:innen, die sie unterstützen daran gewöhnt, Anfragen an die Verwaltung zu richten, anstatt selber zu entscheiden. Beide müssen hier ihre Rolle ändern.“

Turin hat während des Co-City-Projekts des Urban Innovative Actions-Programms (UIA) zwei experimentelle Räume entwickelt und arbeitet nun mit drei anderen Städten im Netzwerk von UIA und URBACT „CO4CITIES“ zusammen, um die Instrumente der gemeinschaftlichen Verwaltung weiterzuentwickeln. „Wir werden im Netzwerk weiter an der Verwaltung der ‚Commons‘ durch Bürger:innen arbeiten und werden vom europäischen Austausch profitieren.“ Eine der an dem Projekt beteiligten Städte ist Danzig, wo die Frage des Vertrauens zwischen der Verwaltung und der Bürger:innen und die jeweiligen Rollen der Partner ebenfalls von großer Bedeutung ist.

Danzig: Vertrauen aufbauen und loslassen

Magdalena Skiba von der Stadt Danzig erläuterte, wie viel schwieriger es ist die Verwaltung dazu zu bringen die „Urban Commons“-Konzepte in ihrer Arbeit anzuwenden als die zivilgesellschaftlichen Akteur:innen zu überzeugen. „Gruppen aktiver Bürger:innen sind bereit, Verantwortung zu übernehmen, aber die Stadtverwaltung ist nicht unbedingt bereit, ‚die Kontrolle zu verlieren‘. Die Verwaltung muss lernen, ein ‚Möglichmacher‘ und kein ‚Bestimmer‘ zu werden". Dieses Thema wurde zuerst mit einem früheren URBACT-Projekt BoostInno vorangetrieben, bei dem die Stadt als „Vermittler“ (engl. broker) definiert wurde. Magdalena Skiba fügte hinzu: „Wir arbeiten seit etwa 15 Jahren mit zivilgesellschaftlichen Gruppen in Danzig zusammen. Wir haben uns über die Möglichkeit gefreut, durch das Projekt ein verlassenes Haus in der Umgebung als Gemeinschaftraum umzunutzen. Damit machten wir deutlich, dass wir uns für unsere Nachbarschaft einsetzen.“

Nachbarschaftshäuser werden von der Stadtverwaltung an Nichtregierungsorganisationen vor Ort vergeben, die Anwohnenden durch verschiedene Aktivitäten unterstützen. Die Stadt übernimmt auch einige Wartungs- und Verwaltungskosten. Bei der Arbeit an diesen Häusern wurde deutlich, so Magdalena, dass „auch die Nichtregierungsorganisationen vor Ort ihre Einstellung ändern müssen: Sie handeln in der Regel so, als wären sie die Eigentümer:innen, die Zusammenarbeit mit der Nachbarschaft fehlt. Wir würden uns gerne in Richtung Gemeinschaftseigentum bewegen". In einem Land, in dem das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierung gering ist, ist der letzte Punkt, den Magdalena Skiba machte, von entscheidender Bedeutung: „Wir vertrauen nur unseren engen Familienangehörigen. Meiner Meinung nach ist es aber das Wichtigste, Vertrauen zwischen den Bürger:innen und der Verwaltung aufzubauen. Die Rolle der Verwaltung als Vermittler besteht nicht darin, Lösungen zu erzwingen, sondern sie zu ermöglichen“.

Die Antwort auf die Frage im Titel ist in der Tat nicht einfach. Eine Möglichkeit, sich ihr anzunähern, könnte ein Paradigmenwechsel sein. Wir müssen „Commons“ und deren Beitrag zum Gemeinwohl nicht als etwas betrachten, das es zu verwalten gilt, sondern eher als etwas, das es nicht zu behindern, zu ermöglich sowie mitzugestalten gilt. Vielleicht lautet die Hauptfrage wie wir die Etablierung von „Urban Commons“ unterstützen und ihre langfristige Nachhaltigkeit gewährleisten können.

Mehr Veröffentlichungen zum Thema

Während die Beteiligung von Interessengruppen in den Städten selbst im Mittelpunkt des URBACT-Ansatzes steht, haben sich die jüngsten URBACT-Netzwerke Civic eState und Co4Cities speziell auf das Co-Management städtischer „Commons“ konzentriert. Zu den URBACT-Expert:innen auf diesem Gebiet gehören: Christian Iaione, Direktor von LabGov; Levente Polyak, Lead Expert von CO4CITIES; und Mary Dellenbaugh-Losse, die kürzlich ein Buch zu diesem Thema veröffentlicht hat.
 

Weitere URBACT-Artikel zu dem Thema finden Sie hier auf Englisch:

Aus dem Englischen von Lilian Krischer.