Die Stadt durch die „Gender-Brille“ sehen
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16 March 2020Es gibt viel zu tun für unser neues „GenderedLandscape“-Netzwerk!
"Trotz der Sprünge, die im vergangenen Jahrhundert gemacht wurden, ist es noch ein langer Weg, um die globale Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen. Die Ungleichheit wirkt sich immer noch auf die Art und Weise aus, wie Frauen und Mädchen reisen, arbeiten, spielen und in städtischen Gebieten leben.“
Zitat: URBACT Gender Equal Cities Report
Warum ist die Stadtentwicklung ein Gender-Thema?
„Gender“ ist überall, auch wenn wir es nicht immer sehen oder bei unseren Entscheidungen berücksichtigen. Frauen und Männer nutzen die Stadt und ihre Dienstleistungen einfach unterschiedlich. Das macht das Geschlecht zu einem bedeutenden - und oft vernachlässigten - Faktor bei der gerechten Gestaltung und Bereitstellung öffentlicher Räume und Dienstleistungen.
Städte als öffentliche Organisationen spielen eine äußerst wichtige Rolle, wenn es darum geht, Voraussetzungen für die Gleichstellung der Geschlechter zu schaffen. Zunächst bedarf es jedoch eines umfassenden Verständnisses davon, wie die Ungleichheit der Geschlechter geschaffen wird. Dies geschieht z. B. durch das Zusammenspiel spezifischer lokaler Bedingungen, einschließlich sozialer Normen, politischer und administrativer Strukturen und des gebauten Raums selbst.
Das Bewusstsein für die Notwendigkeit, Gender-Aspekte bei der Gestaltung bestimmter öffentlicher Dienstleistungen zu berücksichtigen, scheint in den letzten Jahren gewachsen zu sein. Erst spät hat sich ein Verständnis dafür entwickelt, wie die Angst vor Gewalt die Bewegungsfreiheit in der Stadt ungleichmäßig einschränken kann oder wie sich die Bedürfnisse in Bezug auf öffentliche Einrichtungen zwischen den Geschlechtern unterscheiden. Aber das kratzt nur an der Oberfläche der vielen geschlechtsspezifischen Fragen bei der Gestaltung unserer Städte. Ein paar weitere Beispiele können zur Veranschaulichung beitragen:
So gibt es beim Thema bezahlbarer Wohnraum entscheidende Gender-Dimensionen. Der kumulative Effekt von Arbeitsmarktsegregation, häufigerer Teilzeitarbeit sowie der insgesamt niedrigeren Löhne bei Frauen führt dazu, dass im Lebensverlauf weniger Einkommen für die Wohnung zur Verfügung steht. Einfach ausgedrückt: Wohnungsknappheit und Probleme, bezahlbaren Wohnraum zu finden, betreffen Frauen im Durchschnitt stärker als Männer.
Und haben Sie jemals über die Gender-Dimension in der Planung des Abfallmanagements nachgedacht? Im Allgemeinen gehen Frauen beim Recycling und bei der Abfallvermeidung proaktiver vor als Männer. Eine geschlechtsspezifische Perspektive im Abfallmanagement kann dieses effizienter machen und daher dazu beitragen, die Städte ihren ökologischen Zielen näher zu bringen. Konkret sind beispielsweise die Berücksichtigung der Geschlechterperspektive bei der Gestaltung und Aufstellung von Recyclingbehältern oder in Werbekampagnen für das Recycling Schritte, um die Kluft beim Recycling zwischen den Geschlechtern zu verringern und das Recycling insgesamt zu verbessern. Schließlich gibt es eine Vielzahl von Verbraucherkampagnen, die die gleichen Waren auf unterschiedliche Weise an Männer und Frauen verkaufen - warum also nicht auch beim Recyceln?
Stadtplanung: Auf dem Gender-Auge blind?
Startbedingung für nutzer*innengerechte und -sensible kommunale Dienstleistungen ist es, Erfahrungen verschiedener Gruppen anzuerkennen. Es gilt, ein Verständnis für die Auswirkungen geschlechtsspezifischer Machtstrukturen auf Nutzungsmöglichkeiten für Frauen und Männern zu entwickeln.
Die physischen Strukturen der Stadt und die Gestaltung der öffentlichen Dienste können darauf hinwirken, gleiche Rechte und Chancen für eine Vielzahl von Gruppen zu gewährleisten, aber nur, wenn diese ein sichtbarer und bewusster Teil des Planungsprozesses sind. Eine Stadtplanung, die das Geschlecht nicht berücksichtigt, ist auf dem „Gender-Auge“ blind. Auf der Stadt- und Regionalebene trifft das derzeit auf einen Großteil der Dienstleistungsplanung zu. Sie berücksichtigt einfach nicht die unterschiedlichen Bedürfnisse oder strukturellen Barrieren, mit denen die verschiedenen Geschlechter konfrontiert sind – und das, obwohl die Gleichstellung der Geschlechter seit den 1990er Jahren ein grundlegender Grundsatz der EU-Politik ist und ausdrücklich in die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung und die Neue Städtische Agenda aufgenommen wurde.
Darüber hinaus werden oft „Einheits-Methoden“ genutzt, um eine Gleichberechtigung der Geschlechter anzugehen. Bei geschlechtersensiblem Handeln sollte es jedoch nicht nur darum gehen, Checklisten abzuarbeiten oder die Zahl der Frauen ohne Berücksichtigung ihres qualitativen und inhaltlichen Beitrags zu erhöhen. Vielmehr sollten als erster Schritt die lokalen politischen Rahmenbedingungen, die Verwaltungsstrukturen und die Offenheit für das Thema Gender reflektiert werden.
Ein weiteres Risiko von "one-size-fits-all"-Ansätzen besteht darin, dass sich Maßnahmen auf die Erfahrungen einer Teilgruppe der betreffenden Bevölkerung stützt. In Wirklichkeit sind die Hindernisse, mit denen die Menschen konfrontiert sind, jedoch so vielfältig wie sie selbst. Das bedeutet, dass ein intersektioneller Ansatz - ein Ansatz, der die Komplexität von Personen respektiert, die mehreren benachteiligten Gruppen gleichzeitig angehören, wie z.B. Frauen mit Migrationshintergrund oder Frauen mit Behinderungen - dazu beitragen kann, die Inklusivität und Wirksamkeit geschlechtsspezifischer Stadtplanung noch weiter zu erhöhen.
Schließlich sollten Städte sich vor dem Trugschluss hüten, dass technische Lösungen für kommunale Herausforderungen, insbesondere solche, die große Datenmengen beinhalten, von Natur aus geschlechtsneutral sind. Das Aufkommen großer Daten und intelligenter Städte verspricht zwar mehr Effizienz, birgt aber auch ein erhöhtes Risiko von Algorithmen, die auf dem „Gender-Auge“ blind sind oder sogar (unbeabsichtigte) Geschlechterdiskriminierung in die Stadtplanung einbauen. Eine mangelnde Berücksichtigung des Geschlechts, während große Datensätze dazu verwendet werden, das Design und die Bereitstellung von Dienstleistungen zu optimieren, kann dazu führen, dass ebendiese Dienstleistungen für Frauen und Minderheiten immer weniger attraktiv und zugänglich gemacht werden - wie dieses kürzlich erschienene Buch (engl.) im Detail untersucht.
Entdecken sie die „Gendered Landscape“
Obiges sind genau die Komplexitäten und Herausforderungen, die das neue URBACT-Aktionsplanungs-Netzwerk "GenderedLandscape" in Angriff nehmen wird. Das Netzwerk mit Beteiligung von Frankfurt a.M., das 2019 gestartet ist, wird sich auf zwei Themen konzentrieren: die Erhöhung der Sichtbarkeit der geschlechtsspezifischen Perspektive in der integrierten Stadtentwicklung und die lokale Kontextualisierung und Interpretation von Instrumenten und Ansätzen zur Verringerung der Geschlechterungleichheit in der Stadtpolitik und -entwicklung.
Dazu wird das Netzwerk die URBACT-Methode anwenden und einen integrierten und partizipativen Ansatz für städtische Herausforderungen mit dem Schwerpunkt auf transnationalem Austausch verfolgen. Gemeinsames und voneinander Lernen sowie Austausch unter Expert*Innen auf der Netzwerkebene fließen in integrierte Aktionspläne, die auf lokaler Ebene umgesetzt werden und zum Aufbau von Kapazitäten bei den Stadtverwaltungen beitragen.
Die sieben Partner werden sowohl die globalen als auch die lokalen Ausdrucksformen geschlechtsspezifischer Machtstrukturen untersuchen und das auf lokaler Ebene erworbene Wissen nutzen, um auch Impulse für politische Instrumente auf globalerer Ebene zu geben.
Über die Arbeit des Netzwerks und von URBACT zur Gleichstellung der Geschlechter können sie auf dem Laufenden bleiben, indem Sie den Hashtags #Genderequalcities und @GenderedLandsc1 folgen.
Von Mary Dellenbaugh, Lead-Expertin im URBACT-Netzwerk „GenderedLandscape“
Aus dem Englischen von Hauke Meyer, NUP DE&AT
Submitted by Hauke Meyer on