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„URBACT hat uns inspiriert“: Integrationskonzept Oldenburg mit Unterstützung von ARRIVAL CITIES

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20 March 2017
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Interview mit Dr. Natalia Petrillo, Integrationsbeauftragte der Stadt Oldenburg

Die Stadt Oldenburg möchte ihr bald zehnjähriges Integrationskonzept auf den aktuellen Stand bringen. Gelungene Integration und ein gutes Zusammenleben bedeuten, dass alle Seiten aufeinander zugehen. Deshalb hat die Stadt einen Dialog mit der Zivilgesellschaft angestoßen, um zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern das Integrationskonzept fortzuschreiben. Koordiniert wird der umfangreiche Beteiligungsprozess von der Stabsstelle Integration der Stadt Oldenburg und der lokalen Arbeitsgruppe „Arrival City Oldenburg“. Diese wurde im Rahmen des europäischen URBACT-Projektes ARRIVAL CITIES gegründet, an dem Oldenburg als Netzwerkpartner teilnimmt. „Wir haben bislang eine gute Resonanz. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer freuen sich, dass die Stadt Oldenburg sowas macht und sie sich einbringen können“, sagt Integrationsbeauftragte Dr. Natalia Petrillo. Im Interview erklärt sie, wie der Beteiligungsprozess abläuft und was URBACT zu seinem Gelingen beiträgt.

Wie läuft der Beteiligungsprozess zum Integrationskonzept konkret ab?

Den Startschuss bildete eine Auftaktveranstaltung am 12. September 2016. Dabei ging es uns vor allem darum, die Visionen der Bürgerinnen und Bürger für ein weltoffenes und vielfältiges Oldenburg einzuholen. Auf den Auftakt folgen nun drei Workshops, bei denen die vier Themen

  • Sprache und soziale Verständigung,
  • Interkulturelles Lernen,
  • Wohnen und Begegnen und
  • Arbeitsmarkt und Beschäftigung

in gleichnamigen parallelen Arbeitsgruppen diskutiert werden. Beim ersten Workshop im Januar 2017 ging es darum, eine Standort-Analyse zu machen und den Ist-Zustand zu bestimmen. Im Zentrum stand zudem die Frage, was in Oldenburg unsere Herausforderungen in der Integrationsarbeit sind. Heute, beim zweiten Workshop, haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Arbeitsgruppen Ziele und Indikatoren für die vier Themen erarbeitet. Beim dritten Workshop im April 2017 wird es dann darum gehen, konkrete Maßnahmen und Aktivitäten in den vier Handlungsfeldern zu benennen. Im Anschluss wird dann das Integrationskonzept auf Basis der Workshop-Ergebnisse fortgeschrieben. Die Ergebnisse der Workshops fließen in das Strategiepapier ein, das wiederum den politischen Gremien abschließend zur Beschlussfassung vorgelegt wird. Ein solcher Beschluss ist für die spätere Umsetzung der Maßnahmen notwendig.

Wer nimmt am Beteiligungsprozess teil?

Zu den Workshops eingeladen sind alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt Oldenburg. Außerdem nimmt ein Expertenpool mit ca. zwölf städtischen Vertreterinnen und Vertretern an allen Workshops teil. Darin vertreten sind die Kolleginnen und Kollegen aus der Ausländerbehörde, der Wirtschaftsförderung, der Fachstelle Inklusion, dem Gleichstellungsbüro, dem Jugendamt sowie Vertreter aus den Bereichen Kultur, Sport und Demografie. Der Expertenpool stellt zum einen sicher, dass auch Fachleute an den AGs teilnehmen.  In der Arbeitsgruppe Wohnen sitzt dann z. B. der Kollege aus dem Zentralen Flüchtlingsmanagement, der in der Stadt für Um- und Auszüge von Flüchtlingen zuständig ist. Außerdem stellen wir so sicher, dass alle für das Themenfeld relevanten Abteilungen der Stadt über die Erarbeitung des Integrationskonzeptes Bescheid wissen, sich einbringen können und das Konzept letzten Endes auch mittragen. Weiterhin nehmen natürlich die Mitglieder der URBACT Local Group an den Treffen teil. Dazu zählen z. B. der Stadtteiltreff Kreyenbrück, das Yezidische Forum oder die Interkulturelle Arbeitsstelle IBIS e.V. Als Leiter der Workshops haben wir neutrale Moderatoren der Stadt eingesetzt.

Inwiefern hilft Ihnen die Teilnahme am URBACT-Projekt ARRIVAL CITIES bei der Erarbeitung des Integrationskonzeptes?

Die Teilnahme an der URBACT Summer University in Rotterdam im August 2016 kam für uns zu einem günstigen Zeitpunkt. Die dort vermittelte Methodik war wirklich hilfreich: Wie geht man an die Erarbeitung eines Konzeptes heran, wie definiert man Ziele, wie bezieht man die Öffentlichkeit ein – in diesen Punkten konnten wir gut auf dem aufbauen, was wir in Rotterdam gelernt haben. Gleichzeitig haben wir uns im Vorfeld aber auch Integrationskonzepte und Beteiligungsprozesse anderer deutscher Städte angeschaut und versucht, gelungene Punkte auf unseren Prozess in Oldenburg zu übertragen.

Bei der URBACT-Sommeruniversität gab es zum Beispiel einen Film: Verschiedene Teilnehmer sollten die Augen schließen und sagen, wie die Stadt ihrer Träume aussieht. Das hat uns inspiriert. Bei unserer Auftaktveranstaltung im September 2016 fand jeder Teilnehmer zu Anfang einen Zettel auf seinem Stuhl. Darauf sollten die Personen schreiben, welche Vorstellungen und Ideen sie haben, wenn sie an eine gelungene Integration in Oldenburg denken. Wir als Stadt wollten nicht vorgreifen. Wir haben bewusst nicht gleich nach Zielen gefragt, um keine Fachdiskussion am Anfang zu starten. Vielmehr sollte es Spielraum für Utopien geben.

In anderen Bereichen haben wir uns bewusst entschieden, die URBACT-Methoden anders auszulegen und an unsere lokalen Gegebenheiten anzupassen. So haben wir in den Arbeitsgruppen zum Beispiel darauf verzichtet, das Konzept des „Problem-Baumes“ anzuwenden, das wir in Rotterdam kennengelernt haben. Das heißt natürlich nicht, dass wir Probleme nicht benennen. Man muss auch realistisch bleiben –Diskriminierung komplett abzubauen oder uneingeschränkte Teilhabe zu erreichen, ist kaum zu erreichen und wird es immer geben, selbst mit dem besten Integrationskonzept. Aber wenn man mit den Problemen anfängt, verstellt das oft die Sicht auf die Visionen. Insgesamt wollten wir als Stadt nicht Top-down die Richtung vorgeben. Die Auftaktveranstaltung im September hat gezeigt, dass ein besonderer Geist in unserer Stadt herrscht, der getragen wird von dem Willen, neue Projekte zu initiieren. An diesem Potential der Zivilgesellschaft möchten wir ansetzen und die guten Ideen und Vorschlägen in das Integrationskonzept einbeziehen.

Auch eine Stakeholder-Analyse, in der Form wie die URBACT-Methodologie es vorschlägt, war für uns überflüssig – wir kennen unsere Akteure in Oldenburg. Statt einer SWOT-Analyse haben wir uns für eine Ist-Analyse entschieden, die im ersten Workshop durchgeführt wurde. Man neigt ja oft dazu, nur aufzuzählen, was alles fehlt. Darüber geht unter, dass wir schon sehr viel haben – nur wollen wir das jetzt besser koordinieren. Bei den Arbeitsgruppen geht es darum, zu schauen, wie Integration bislang gelaufen ist, was besser werden soll und wie sich jeder Einzelne dafür einbringen kann.

So wie ich Sie verstehe, ist es unter anderem wichtig, bei Beteiligungsprozessen auf eine gewisse Struktur und Methodik zu achten. Warum?

Weil bei diesem Prozess Transparenz angefragt ist. Der Moderatorenpool stellt z.B. die Beteiligung auf Augenhöhe aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer sicher. Die externe Begleitung durch die Bertelsmann Stiftung bringt Fachexpertise in solchen Prozessen aus anderen Kommunen mit. Wichtig ist die Methode. Denkbar wäre, am Ende des Prozesses eine Art Modellablauf für einen Beteiligungszyklus inklusive Konzepterstellung für Oldenburg zu erstellen. Denn es gibt die Idee, das Integrationskonzept künftig alle fünf Jahre fortzuschreiben. Dann könnte man auf den Strukturen, die wir aktuell entwickeln, weiter aufbauen.

Haben Sie sich auch auf lokaler Ebene externe Experten ins Boot geholt?

Der Blick von außen ist sehr wichtig. Der Prozess wird durch die Bertelsmann Stiftung extern begleitet. Wir freuen uns, dass die Stadt Oldenburg als Pilotstandort für ein Projekt der Bertelsmann Stiftung ausgewählt wurde. Als Moderatorin für den gesamten Beteiligungsprozess haben wir Kerstin Schmidt von der Bertelsmann Stiftung gewonnen. Sie vertritt weder Politik noch Verwaltung, ist neutral, und fachlich gut. Sie kennt zum Beispiel gute Integrations-Beispiele aus anderen deutschen Städten und kennt sich mit Indikatoren aus. Wichtig für uns waren auch ihre Tipps zur Aufteilung des Beteiligungsprozesses auf die drei Workshops.

Was ist anders gelaufen, als Sie es ursprünglich geplant haben?

Leider ist es uns nicht gelungen, Geflüchtete und Migranten zu erreichen. Das haben die Teilnehmer auch in den Feedbackbögen nach dem ersten Workshop im Januar bemängelt. Dabei haben wir die Workshops überall beworben, auch bei meinen Sprechstunden vor Ort, und die Flyer auf Arabisch und in weitere Sprachen übersetzt. Wir haben angeboten, die Veranstaltung in verschiedene Sprachen zu dolmetschen. Dennoch – die Leute, die zu den Workshops kommen, sind alle hauptamtlich oder ehrenamtlich tätig, sie sprechen für andere.

Neben der Unterstützung auch lokaler Ebene bietet URBACT auch den Vorteil, dass man sich mit anderen europäischen Städten zum Thema austauschen kann. Inwiefern haben Sie davon profitiert?

Wir hatten jetzt schon transnationale Workshops in Dresden, im finnischen Vantaa und der nächste Workshop findet im Mai in Thessaloniki, Griechenland, statt. Dabei kriegt man gute Ideen, wie man bestimmte Dinge noch anpassen könnte. Vor allem von Finnland können wir noch einiges lernen für den Bereich Arbeitsmarkt, dort haben sie ähnliche Herausforderungen. In Griechenland wird es um Aufnahmeeinrichtungen gehen. Manchmal merkt man dann auch im Vergleich, dass wir hier auch schon viel machen und einiges erreicht haben.

Wenn Sie die Augen schließen und sich Oldenburg in zehn Jahren vorstellen – was sehen Sie dann?

Ich sehe eine Stadt, in der möglichst viele Bevölkerungsgruppen sich am gesellschaftlichen Geschehen aktiv beteiligen. Teil-Sein und Teil-Haben wird von allen (oder möglichst vielen) gelebt.

Bildnachweis: Foto Graphik: H. Mages, DV
Bildnachweis alle anderen Fotos: Christian Ahlers